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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Fensterputz-Welse saugten am Glas und lutschten sich hin und her, die zu langen Fäden verlängerten Flossen der Skalare trieben über den Kies und mein Bruder dämmerte im Bett vor sich hin oder las zum zehnten Mal »Der Herr der Ringe«.
    An diesem Nachmittag erwarteten sie mich beide und zogen mich hinein ins geheimnisvoll-muffige Grün. Im Zimmer durfte ich mich sogar auf sein Bett setzen.
    »Als die Amsel gegen die Scheibe geflogen ist«, begann mein mittlerer Bruder konspirativ und funkelte dabei durch seine schlierigen Brillengläser, »da wusste ich, noch bevor ich mich umgedreht habe, dass es eine Amsel war. Ich hab die Vogelart anhand des Aufpralls erkannt.« Ich hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. Mein verständnisloses Gesicht ärgerte ihn. »Weißt du denn nicht, was das bedeutet?« Ich schüttelte den Kopf. »Er ist dazu in der Lage, eine Vogelart am Aufschlaggeräusch zu erraten«, belehrte mich mein älterer Bruder: »Das ist genial. Damit können wir reich werden!« Ich verstand immer noch nicht, was sie vorhatten, aber reich werden wollte ich natürlich auch. »Wie denn?«, fragte ich und gleich noch mal: »Ja, wie denn?« »Ganz einfach«, weihte mich mein ältester Bruder endlich ein, »wir treten im Fernsehen auf. Verschiedene Vögel werden gegen ein großes Fenster gescheucht und du«, er sah meinen selbstsicher nickenden mittleren Bruder an, »wirst erraten, was es für einer war. Sobald Papa und Mama weg sind, fangen wir mit dem Training an. Wir bereiten schon mal alles vor.«
    Der Plan war, dass ich als Trainer verschieden große, mit unterschiedlichen Materialien gefüllte Socken von außen gegen die Scheibe schleudern sollte. Mein mittlerer Bruder würde mit verbundenen Augen im Inneren auf einem Stuhl sitzen und anhand des Aufschlaggeräusches die Art erraten. Die Aufgaben wurden verteilt und wir machten uns an die Arbeit. Wie Diebe schlichen wir durch das Haus, stahlen Socken aus den Schränken, Nudeln und anderes Füllmaterial aus der Speisekammer.
    Nach einer Stunde lagen auf dem Bett meines ältesten Bruders fünf Attrappen. Der leichteste Vogel war eine mit aus der Hundebürste gezupftem Hundehaar gestopfte Muttersocke – als Zaunkönig. Der schwerste eine prall mit Vogelsand gefüllte, noch nie getragene Wandersocke meines Vaters – als Storch. Probehalber warf ich einen erbsengefüllten Bussard im Zimmer meines Bruders in die Höhe. Er platzte auf, und die Erbsen fielen als grüner Regen von der Decke. Meine Brüder brachen zusammen, schmissen sich prustend auf das Bett und brüllten in die Bettdecke.
    Ich war froh, dass der Plan aufgegeben wurde. Denn meistens war ich derjenige, der bei solcherlei Experimenten am Ende verantwortlich gemacht wurde. Das sah ich zwar selten voraus, aber diesmal hatte ich arge Bedenken. Höchstwahrscheinlich würde ich mit der Storchensocke das Fenster zertrümmern, meine Brüder sich in Luft auflösen und ich wie ein Volltrottel dastehen. Auf die Frage: »Bist du wahnsinnig geworden? Warum um alles in der Welt wirfst du eine mit Sand gefüllte Socke durch die Scheibe?« gibt es schlichtweg keine gute Antwort.

Vierzig Kugeln Sorgfalt
    Zwei Tage vor dem vierzigsten Geburtstag meines Vaters war es zwischen mir und meiner Mutter zu einem furchtbaren Streit gekommen – obwohl Streit nicht das richtige Wort ist. Während ich wie ein vom Zorn betriebener menschlicher Kreisel auf dem Küchenboden um mich selbst rotierte, stand meine Mutter fassungslos vor mir und sah mich an, als hätte mich die Tollwut gepackt. Wie schon so oft, hatte sie mir durch eine gute Tat den Garaus gemacht. Das war eine Spezialität meiner Mutter. Vollkommen überzeugt und im Reinen mit sich, tippte, ja bohrte sie ihren liebevollen, mütterlichen Finger in wunde Punkte. Sie selbst war stets perplex, wenn sie sah, was sie angerichtet hatte. Da sie sich für den freundlichsten Menschen der Welt hielt, einen Menschen, dem jede Hinterhältigkeit, jede Heimtücke vollkommen fremd war, konnte sie es gar nicht fassen, wenn man ihr bösen Willen unterstellte. Das Ganze wurde dadurch kompliziert, dass sie im Grunde wirklich eine durch und durch liebevolle Person war. Aber irgendwo in meiner Mutter gab es eine subversive Kraft, die ihr die absonderlichsten Ideen injizierte. Ein Beispiel von vielen: Mein ältester Bruder hatte ihr zu ihrem Geburtstag eine Picasso-Zeichnung geschenkt, einen Matador mit Stier. Das Besondere daran war, dass Picasso das ganze Bild gezeichnet hatte, ohne

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