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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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allein. Das Megafon rief: »Haben Sie Probleme? Wo ist Ihr Mann? Wo ist der Herr Professor?« Meine Mutter zeigte nach unten und gab Entwarnung. Langsam kam mein Vater wieder zu sich. Ihm war schlecht. Er setzte sich auf und übergab sich in die Schlei. Meiner Mutter gelang es, zu wenden und das Schiff in den Wind zu bekommen. Es nahm Fahrt auf und beruhigte sich.
    »Hier, nimm für einen Moment die Großfall, ich muss hinten die Tampen nachziehen.« Doch mit der nächsten Böe schoss das Seil durch die Handflächen meines Vaters, entglitt ihm das Segel und rauschte am Mast hinunter. Bis heute weiß meine Mutter nicht, was sie damals geritten hat, auf offener See bei Windstärke acht bis neun den Mast hochzuklettern und den Tampen wieder einzufädeln. »Frau Professor, bitte tun Sie das nicht! Wir sind gleich bei Ihnen! Warum hilft Ihnen denn nicht Ihr Mann?« Aber meine Mutter war schneller. Sie hisste das Segel, steuerte das Boot zurück in den Hafen und legte fachgerecht an.
    Mein Vater krabbelte wie volltrunken aus der Jolle und schwankte, ohne ein Wort zu sagen, über die Wiese Richtung Bootshaus davon. Ein dicker gebrochener Mann in gelbem Ölzeug, mit Schwimmweste und roter Pudelmütze. Eine Stunde später, nachdem auch die letzten beiden Paarungen – der Wind hatte sich plötzlich gelegt – alles gut überstanden hatten, gab der Prüfer die Ergebnisse bekannt. Von neun Booten, also von achtzehn Segelscheinanwärtern, war mein Vater der Einzige, der durchgefallen war. Meine Mutter erinnerte sich noch genau an die Worte des Prüfers: »Es tut mir so leid, Herr Professor, aber ich kann Sie nicht bestehen lassen. Sie haben ja die meiste Zeit nur gelegen. Wäre Ihre Frau nicht gewesen, hätten wir Sie retten müssen!«
    Am Abend ordnete mein Vater die Segelbücher ins Regal ein und gab dem Hund das Knotenseil zum Spielen. Es dauerte Wochen, bis er zum ersten Mal unter dem Kommando meiner Mutter mit uns hinausfuhr.
    Am liebsten ging er zusammen mit mir segeln, wenn man kein Segel zu setzen brauchte, weil es vollkommen windstill war. Er lag am Morgen in seinem Bett und sah in die Wipfel der hohen Lindenreihe. Wenn die Blätter schlaff, bewegungslos an den Zweigen hingen, sagte er zu mir: »Heute ist Segelwetter. Also nichts wie los.« Wir fuhren dann gemeinsam, mit knatterndem Außenbordmotor, auf dem spiegelglatten Wasser dahin, lagen in der Sonne und aßen unseren Proviant. Er erzählte mir Geschichten und hin und wieder angelten wir auch. Wenn mein Vater durch das Fernglas jemanden vom Rotary Club entdeckte, rief er »Oh Gott, die Eckmanns!«, und wir versteckten uns in einer stillen Bucht.
    Zum endgültigen Erlöschen der Segelleidenschaft meines Vaters kam es auf einem dieser gemütlichen Ausflüge. Mein Vater schaltete mitten auf der großen Breite den Außenborder ab, und wir ließen uns treiben. Das Wasser glitzerte, es war warm und herrlich still. Nach gut einer Stunde wollte mein Vater den Motor wieder anlassen. Zog an der Reißleine. Der Motor gluckste kurz auf, aber sprang nicht an. Mehrere Versuche. Nichts. Selbst das Aufklappen der Motorhaube, für meinen Vater schon eine technische Meisterleistung, und das ratlose Bestaunen des Motorinneren änderte nichts. Wie für einen letzten Versuch griff er sich die Reißleine, sammelte all seine akademischen Kräfte und hielt inne. Ich war neugierig, ob es diesmal funktionieren würde, und stellte mich hinter ihn. Voll Zorn riss er an der Leine, ungeschickt, leicht schräg. Er riss an der Motorleine und traf mich voll ins Gesicht. Ich wurde zurückgeworfen, stolperte und ging über Bord. Mein Vater schrie auf, versuchte mich noch zu packen. Die Strömung war nicht stark, aber doch stark genug, mich zügig vom Boot zu trennen. Ich hatte eine Schwimmweste an und trieb auf dem Wasser. Durch die Vehemenz des Schlages war ich durcheinander, hatte Nasenbluten. Verschwommen sah ich meinen Vater auf dem Boot gestikulieren. Laut rief er um Hilfe.
    Und dann sah ich ihn von der Bootskante springen, sah, wie mein übergewichtiger Vater ins Wasser plumpste, dachte »Mein Gott, was für ein erbärmlicher Sprung«, und hinter ihm entfernte sich unser Boot, das sogar, da mein Vater ihm beim Absprung einen Schubs gegeben hatte, etwas Fahrt aufnahm. Kurz bevor er bei mir war – es hatte lange gedauert, bis er näher kam, lange hatte ich sein verzweifeltes Gesicht in Zeitlupe auf mich zukommen gesehen –, kurz bevor er mich erreichte, wurde ich beherzt von kräftigen Armen

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