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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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von Romanen, Bildbänden und theoretischen Schriften zum Thema Seefahrt. Da geschah etwas Denkwürdiges. Er saß da, vertieft in ein Buch mit dem Titel »Ich kaufe ein Segelboot«. Vielleicht las er es anfänglich nur aus Neugierde, doch ich sah es ihm an: Irgendeine bahnbrechende Idee schien Besitz von ihm zu ergreifen. Sein schwerer Körper steckte massig im Sessel fest, aber in seinem die schwankenden Wipfel der Linden fixierenden Blick flackerte eine gewaltige Sehnsucht. Das Buch lag aufgeklappt auf seinen Beinen, und von maritimen Vorstellungen durchflutet, wurden seine Augen von Tag zu Tag blauer. Bei jedem Mittagessen schwärmte er vom Segeln. Hielt Vorträge über Segelmanöver. Ich verstand nicht viel. Mochte aber die Worte, die nach Abenteuer klangen: Wenden – Halsen – Schiften – Kreuzen – Beidrehen. An Sonntagen ging es nicht mehr in den Wald, immer nur in den Hafen unserer kleinen Stadt. Mein Vater sah hinaus auf das Wasser. Er hatte seinen diagnostischen Blick. Diesen durchdringenden Blick, mit dem er sich Menschen besah. Er zeigte auf die verschiedenen Boote und kannte sie alle: Flying Dutchman, Folkeboote, Katamarane, die unterschiedlichen Klassen der Jollen.
    Eines Abends kam mein mittlerer Bruder aufgeregt in mein Zimmer gestürmt: »Komm, komm schnell.« Im Wohnzimmer saß mein Vater mit hochrotem Kopf in seinem Sessel, meine Mutter kniete auf dem braunen Teppichboden und hielt seine Hände. Mein ältester Bruder kam mit einem Glas Wasser, das mein Vater hastig auf einen Zug austrank. »Bist du sicher?«, fragte meine Mutter. So hatte ich meinen Vater noch nie gesehen. »Ja, ja, ich will eins.« Ich fragte ihn: »Was? Was willst du?« »Ich will eins. Ich will ein Segelboot. Ich will segeln gehen.« Jetzt musste er über sich selbst lächeln. Er genoss sein Außersichsein, spielte eine immer stärkere Erregung, aber das Zittern seiner Hände verriet ihn. »Ich will Segel setzen!«, rief er, »den Spinnaker hissen! Den Anker lichten. Ich will das Ruder halten. Ich will aus dem Hafen auslaufen. Ich will das Land nicht mehr sehen. Ich will ein Segelboot.«
    »Na, dann kaufen wir halt eins.« Meine Mutter hielt immer noch die euphorisch feuchten Hände meines Vaters. Sah ihn an und wiederholte ihren Vorschlag: »Na, dann kaufen wir halt eins.« Mein Vater schwieg lange, dann sagte er todernst: »Ja, das tun wir. Wir kaufen eins. Wir kaufen uns ein Segelboot.« Er presste die Lippen aufeinander und nickte. Wir setzten uns ganz nah zu ihm. Er nickte. Kurzes endgültiges Nicken mit zusammengepresst-blassen Lippen. Er hatte Tränen in den Augen. Flüsterte: »Ja, das tun wir. Das tun wir.« Und wieder dieses eigenartige Nicken. »Wir kaufen eins. Wir kaufen uns ein Segelboot«.
    Der erste Schritt auf dem Weg zum eigenen Boot wäre eigentlich derjenige gewesen, den Wunsch an der Realität zu messen. Denn mein Vater war ja in Wirklichkeit noch nie gesegelt, war nur einmal mit mir auf einem Ausflugsdampfer nach Helgoland gefahren. Doch der Weg zum Segelglück, den mein Vater einschlug und auf dem meine Mutter und letztlich wir alle ihm folgen durften und mussten, war ein vollkommen anderer.
    Als Erstes trat er in den Schleswiger Schlei-Segel-Club ein. Und da sich gerade eine günstige Gelegenheit bot, einen der begehrten Liegeplätze zu ergattern, zögerte er nicht lange und mietete, noch ehe er je auf dem Wasser gewesen war, noch ehe er überhaupt ein Segelboot besaß, diesen Liegeplatz. Er kaufte sich eine weiße Hose, blaue Schuhe und einen weißen Pullover mit V-Ausschnitt und Ankeremblem. So stand er mit uns im Hafen vor seinem Liegeplatz: einer Lücke zwischen den anderen Segelbooten. Stolz zeigte er uns seinen Schleswiger Schlei-Segel-Club-Ausweis. Das ganze Wochenende über trug er, in seinem Sessel sitzend, seine Segelmontur und übte mit einem Stück Seil Segelknoten.
    Er hatte meine Mutter und sich zur Segelprüfung angemeldet, und so begann auch sie, sich mit dem Segeln zu beschäftigen. Mein Vater stellte ihr Fragen: »Wie errechnet man die Rumpfgeschwindigkeit?« »Weiß ich nicht!« »Ganz einfach: Die Wurzel aus der Wasserlinienlänge mal 4,5 ist gleich der Rumpfgeschwindigkeit in Kilometern pro Stunde.« »Glaubst du wirklich, das müssen wir wissen? Ich lern’ lieber nur die Sachen für die Prüfung.«
    Sie machten einen Segelkurs. Auch wenn meinem Vater beim ersten Segeltörn ein wenig schlecht geworden war, er sich auf dem Schiff nur im Sitzen einigermaßen wohlgefühlt hatte,

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