War da noch was - Roman
seine Einschätzung gewesen war – und ganz sicher nicht mit Laura und dem Rest meiner Familie, die immer noch voller Erleichterung waren und Gott dankten, dass nun endlich, endlich die schwierige Schwester, die problematische Tochter, die, um die sie sich ständig Sorgen machen mussten, untergebracht war und den vernünftigen Hal heiraten würde. Nein, ich behielt es für mich. Was nicht schwer war, weil mich keiner fragte. Wie Seffy so treffend bemerkt hatte, halten wir unser eigenes Leben für unendlich wichtig, aber andere interessieren sich nur im Vorübergehen dafür, weil sie genug damit zu tun haben, ihr eigenes Leben zu leben.
Außerdem lag eine stille Genugtuung in der Tatsache,
die Einzige zu sein, die Bescheid wusste. Mit Ausnahme von Hal natürlich. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass er als Mann und noch dazu als besonders stolzer und zurückhaltender Typ von Mann, sich nicht so bald jemandem anvertrauen würde. Er würde ganz sicher keine gefühlsduselige Fahne hissen — hey, ich bin’s, Hal Forbes, der Top-Anwalt, ich bin sitzen gelassen worden. Er würde noch eine Weile im Stillen seine Wunden lecken, genau wie ich auch. Aber ich fühlte mich doch einsam. Und ein paarmal war ich – wie ich zu meiner Schande gestehen muss – doch sehr versucht, ihm eine SMS zu schicken: »Alles OK mit dir?« Glücklicherweise erkannte ich rechtzeitig, wie unehrlich das gewesen wäre und warf das Handy zurück in die Tasche. Hatte ich mir nicht fest vorgenommen, ab jetzt nur noch absolut ehrlich zu sein?
Nach einer Weile schickte ich allerdings doch Seffy, der auf seinem Internat war, eine E-Mail, in der ich alles über Hal und mich erklärte und wie leid es mir tat. Ich hatte lange überlegt, ob ich ihn nicht lieber anrufen sollte, aber ich wollte ihm den Luxus gönnen, über alles nachdenken zu können, bevor er zu einer Antwort gedrängt wurde. Oder war das mein Luxus, seine wohlüberlegte Reaktion anzuhören anstelle einer spontanen? Wieder einmal die dornige Wahrheit. Jedenfalls musste er wohl am Computer gesessen haben, denn er rief nur zwei Minuten später an.
»Wenn du dich so entschieden hast, dann ist das gut so, kein Problem, Mum.«
Ich spürte eine Welle der Erleichterung. »Aber du hast ihn doch so gerne, bist so vertraut mit ihm.«
»Das kann ich doch trotzdem bleiben? Er bleibt ja immer noch mein Onkel. Aber ich bin schließlich nicht derjenige, der ihn heiraten sollte, oder? Entspann dich. Uns
beiden ging es doch gut, so wie es war, und dann wird das auch weiterhin so sein, okay?«
Ich schloss die Augen. Dankte ihm im Stillen und aus tiefstem Herzen. Dann murmelte ich etwas von wegen, dass wir uns ja Sonntag sehen würden. Als ich den Hörer auflegte, stand ich ein wenig aufrechter. Und während ich mir mein Abendessen zubereitete, mein einzelnes gekochtes Ei und Brote, kam ich mir schon nicht mehr so instabil und rissig vor.
Aber mein Leben war dennoch wieder dabei, in sich zusammenzusinken, zu schrumpfen. Ich zog mich notwendigerweise vor Leuten zurück, die sich nach Hal erkundigen würden, und dadurch isolierte ich mich selbst. Zumindest kam es mir so vor, als wäre meine Seele intakt. Keine Kompromisse mehr. Ich hatte nicht mehr das schreckliche Gefühl, dass mir jeden Augenblick jemand auf die Schliche kommen würde. Seffy oder Hal. Das war sehr tröstlich. Ich hatte das Gefühl, mich langsam wieder selbst kennenzulernen.
Ich putzte mein kleines Haus von oben bis unten in dem Bestreben, den ganzen Müll loszuwerden, es frei zu legen. Es von unnötigem Ballast zu befreien. Ich reparierte die Vorhangschiene, strich die Küche — jätete sogar Unkraut im Garten. Und ich holte einen Klempner, um die untere Toilette zu reparieren – ein netter Kerl, der eine äußerst redselige Hausfrau vorfand, die ohne Punkt und Komma erzählte. Er sah zu, dass er möglichst schnell wieder wegkam. Außerdem arbeitete ich jeden Tag bis spät abends im Laden, brachte die Buchhaltung in Ordnung, was schon lange fällig war, während Maggie mit Ralph nach Italien fuhr, um Marmor zu streicheln und Ähnliches. Ich versuchte mich durch Arbeit abzulenken.
Wochentage waren prima. Samstage okay. Sonntage
geradezu gefährlich. An Sonntagen war ich zutiefst verunsichert, vor allem abends. Da war etwas, das in mir lauerte und nur darauf wartete hervorzubrechen. Glücklicherweise waren ja Museen und Galerien geöffnet, und nach einer Weile kannte ich das Victoria-&-Albert-Museum ziemlich gut. Die setzen einen
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