Waren Sie auch bei der Krönung?
kratzte sogar einen Augenblick lang mit seinem schmutzigen Fingernagel an dem Gold der Buchstaben, was Clagg zu dem erschreckten Ausruf veranlaßte: «Heda, lassen Sie das gefälligst bleiben!»
Ohne dadurch aus der Fassung gebracht zu werden, blickte der Mann auf die Spur Goldstaub, die jetzt an seinem Fingernagel haftete, und gab, nachdem er seine Untersuchung abgeschlossen hatte, Clagg die Karte zurück mit der Bemerkung: «Erstklassig! Ganz famos gemacht. I : Ich arbeite nämlich selbst im Druckereigewerbe.»
Jeder stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Clagg ertappte sich dabei, wie er mit seinen dicken Fingern die erhabenen Buchstaben liebevoll befühlte. «Möchten Sie sich's mal ansehn?» fragte er den Textilwarenhändler und seine Frau.
Sie nahmen die Karten und wunderten sich nicht nur über die Genüsse, die auf den Billetts versprochen wurden, sondern auch über den glücklichen Gelegenheitskauf. Violet Clagg sagte: «Stellen Sie sich nur vor: Sie sehen die Königin sooo nahe in ihrer goldenen Kutsche vorbeifahren! Die Kinder werden da ein Erlebnis haben, von dem sie noch ihren eigenen Kindern erzählen werden, nicht wahr? Und als Zugabe noch echter Champagner!»
Die Frau des Textilwarenhändlers bemerkte: «Ich beneide Sie. Sie werden in der Erinnerung davon zehren können. Wie Sie es einrichten konnten, daß Sie alle zusammen hinfahren können — das ist meiner Ansicht nach einfach wunderbar.»
«Stimmt!» sagte Will Clagg stolz. «So etwas ist nur möglich, wenn man so eine Familie hat wie diese da. Wir haben darüber abgestimmt. Ferien in Morecambe oder ein Besuch in London zur Krönung? sagte ich. Das eine oder das andere. Beides ist unmöglich. Und jetzt wird abgestimmt! Vier zu eins stimmten für die Krönung.»
«Ich habe nur gesagt, das sieht nach Geldverschwendung aus!» warf die Großmutter scharf ein und beantwortete damit die unausgesprochene Frage der Zuhörer, von wem die eine Stimme gegen den Vorschlag gekommen war. «Wo doch die Kinder ihre zwei Wochen am Meer verbringen sollten!»
Die Frau des Textilwarenhändlers meinte: «Aber jetzt sind Sie doch bestimmt froh, daß Sie hinfahren, oder nicht?»
Die Großmutter war nicht bereit, so schnell zu kapitulieren. «Das werden wir erst sehen», sagte sie mürrisch.
Clagg lachte: «Wenn Großmutter einmal in den Himmel kommt», sagte er, «wird sie es erst dann glauben, wenn ihr die Engel bewiesen haben, daß ihre Flügel tatsächlich angewachsen sind und nicht bloß angeklebt!»
Hinter ihrer Brille kniff die Großmutter ihre kleinen Augen einen Moment lang zusammen mit einer Miene, die, soweit sie das vermochte, ein Gefühl des Hasses ausdrücken sollte. Sie hatte es nicht gern, wenn man sie an das Himmelreich erinnerte oder überhaupt an die für sie jetzt immer gegenwärtige Möglichkeit des Ablebens. Sie war dreiundsiebzig Jahre alt, und die Warnungszeichen des hohen Alters hatten sich eingestellt — ein Zwicken hier, ein Zwacken da, ein unerklärter Krampf oder Schmerz. Die Ängste, die diese Alarmsignale in ihr auslösten, waren ernst genug. Siebzig Jahre waren die dem Menschen zugemessene Zeitspanne. Sie hatte sie um drei Jahre überschritten und meinte, daß sie sich in dieser Beziehung gröblich gegen die Bibel vergangen hatte. Aber sie war von einer unstillbaren Neugierde erfüllt, was wohl der nächste Tag bringen würde. Außerdem wuchsen Johnny und Gwendoline heran, und ihr war die Aufgabe zugefallen, ihnen die althergebrachten Tugenden beizubringen., Kommandieren, das war ihr Leben.
Claggs Scherz veranlaßte alle, sich der Großmutter mit einem freundlichen und amüsierten Lächeln zuzuwenden, denn ein jeder hatte irgendwann einmal alte Damen gleich ihr gekannt, und keiner ahnte, daß die Erwähnung des Wortes Himmel sie gleichzeitig geärgert und geängstigt hatte. Behutsam, fast zärtlich, schob Clagg die Karten wieder in die Tasche.
Kein Mensch im Vereinigten Königreich wäre erzürnter, erstaunter und ungläubiger gewesen als Will Clagg, wenn man ihm gesagt hätte, daß es einen besonderen Grund für ihn gegeben hatte, seine Familie um sich zu sammeln und mit ihr zur Krönung nach London zu fahren. Der Grund war, daß er sich in die Königin von England verliebt hatte.
Er war keineswegs ein Einzelfall. Noch nie seit den Tagen Elisabeths der Ersten hatte eine solche Woge ritterlicher Leidenschaft die Herzen der Männer Englands erfaßt wie an diesem Krönungstag. Die Zeiten mochten sich geändert haben oder
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