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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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andauern.
    Mitten auf der Straße kam Claggs Offensive zum Stillstand. Das Feuer in ihm war erloschen, und er hatte abermals kein Ziel. «Wie wäre es, wenn wir uns die Straßendekorationen ansehen würden?» fragte er.
    «Ich habe bis zu meinem Lebensende genug von allen Dekorationen», schnauzte ihn die Großmutter an.
    «Ich habe Hunger», sagte Johnny.
    «Ich habe Durst», sagte Gwendoline.
    «Ich bin müde», sagte Violet. «Sollten wir nicht versuchen, für die Kinder etwas zu essen zu bekommen?»
    «Gut, dann gehen wir!» sagte Clagg, ganz zufrieden darüber, daß ihm die Entscheidung abgenommen worden war. «Wir wollen ein Wirtshaus oder eine Teestube suchen und etwas Warmes essen.» Er nahm Gwenny wieder auf den Arm und marschierte den Piccadilly hinunter, denn er kannte London gut genug, um zu wissen, daß es hinter Piccadilly Circus Cafés und Erfrischungslokale gab.
    Sie hatten natürlich nicht mit der Tatsache gerechnet, daß etwa eine Million hungriger, ausgedörrter Mitbürger dieselbe Idee haben würde. Jedes Restaurant und jeder Ausschank war bis zu den Türen vollgestopft, und draußen standen lange Menschenschlangen. Nach langem Warten vor einer Verkaufstheke gelang es ihnen, einer Tasse lauwarmen Tees und eines Stückchens Gebäck habhaft zu werden, was für ihren Magen und ihre Stimmung nicht viel bedeutete. Im Café erzählte jemand von dem Feuerwerk, das es abends auf dem Fluß geben würde; andere unterhielten sich über eine Festlichkeit im Rathaus von Wapping; irgendwo im East End sollte eine riesige Feier unter freiem Himmel stattfinden; im Norden, Osten, Süden und Westen von London bereitete sich Hoch und Niedrig auf eine festliche Nacht vor.
    Will Clagg betrachtete seine müde Familie und wußte, daß sie alle nach Hause fahren müßten. Er war besiegt und entmutigt und hatte keinen andern Wunsch, als sich so schnell wie möglich in die Sicherheit seiner vier Wände zurückzuziehen, wo er die Türe schließen und die Außenwelt, die ihn betrogen hatte, aussperren und die schützende Vertrautheit seines Heims über seine geschundenen Schultern stülpen konnte. Den Fuß wieder auf die Türschwelle seines eigenen Heims setzen zu können, wurde für ihn zu einem unwiderstehlichen Zwang.
    Ein Polizist sagte ihnen, welcher Autobus sie zum St. Pancras-Bahnhof bringen würde. Vier Autobusse fuhren davon, ehe die Schlange, in der sie warten mußten, so weit zusammengeschrumpft war, daß sie einsteigen konnten. Sie waren zu müde, um während der Fahrt auch nur einen Blick auf die Dekorationen, die Schaufenster oder die menschengefüllten Londoner Straßen zu werfen.
    St. Pancras war ein einziges feuchtes, pulsierendes, düsteres Durcheinander, ein Leitfaden der Gerüche von durchnäßten Kleidern, Kohlenrauch, Würstchen, Bier, nassen Stiefeln und Tee. Man hörte ununterbrochen den Lärm keuchender Lokomotiven, von denen eine gelegentlich einen schmerzerfüllten Angstschrei ausstieß bei dem Gedanken, eine schwere Menschenfracht fortschleppen zu müssen.
    Man hörte den metallenen Lärm der Kupplungen, das Klingeln von Glocken, die Pfeifen der Schaffner, das Poltern der Schiebekarren der Gepäckträger und — wie es den ganzen Tag der Fall gewesen war — die endlosen Schritte Tausender und aber Tausender jetzt müder Füße. Das Gewirr menschlicher Stimmen hob sich von dem heißen Zischen ausströmenden Dampfes ab. In der dunklen, glasgedeckten, von eisernen Pfählen durchzogenen Bahnhofshalle wurden alle Geräusche vervielfacht und mit einem hohlen Echo zurückgeworfen.
    Menschenhaufen drängten und stießen, drehten sich im Kreise und strebten durch die Sperren zu den langen, rußigen Zügen, die sie zu ihren fernen Wohnstätten im Norden bringen sollten. Die Menschenströme stießen wie Kolonien verschiedener Ameisenarten aufeinander, bildeten Knäuel, ballten sich zusammen und entwirrten sich wieder, sobald die Leute den richtigen Weg gefunden hatten. Es gab viel Drängen und Stoßen, aber alle waren bester Laune. In dieser oder jener Weise war ein jeder von ihnen mit dem Wunder der Kontinuität in Berührung gekommen, das sich an diesem Tag in Westminster Abbey vollzogen hatte. England besaß wieder eine junge Königin. Ihre Existenz und ihre Krönung wiesen auf die gleiche Kontinuität all dieser Menschen hin und besiegelten sie. Auch sie waren, so wie die Königin, in langer, ununterbrochener Geschlechterfolge aus der dunklen, verschütteten Vergangenheit in die strahlende, erregende

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