Waren Sie auch bei der Krönung?
beschäftigt hatten. Und da die Angelegenheit erledigt war, dachte der Polizeipräsident auch gar nicht weiter daran, als sein Blick plötzlich dem des kleinen Jungen begegnete, der zu der Familie gehörte. Er sah ein blasses, von Tränen gezeichnetes Gesicht unter einer nassen Schulmütze, aus dem ihn zwei dunkle, leuchtende, von Anbetung erfüllte Augen anstarrten.
Es geschah alles so schnell, daß er, als es vorbei war und er sein Pferd in den Park lenkte, sich nicht mehr erinnern konnte, was ihm an diesen Augen aufgefallen war. Er wußte nur, daß er tief gerührt war. Er konnte seine Gedanken nicht von dem Kind loslösen und tat etwas, was zu tun er überhaupt nicht beabsichtigt hatte. Er griff in eine seiner tiefen Manteltaschen und holte ein schimmerndes Regimentsabzeichen hervor: eine Krone und darauf, ineinander verschlungen, die Buchstaben RW und ein Löwe und ein stehendes Einhorn zu beiden Seiten und das lateinische Regimentsmotto, das Wort Fidelis.
Es dürfte während der Prozession von der Mütze eines Offiziers gefallen sein, und die Füße der Marschierenden müssen es wohl in Piccadilly in die Gosse geschleudert haben. Das Aufblitzen des Metalls in der launischen Sonne, die nach dem Ende des Regengusses für einen Moment durchgebrochen war, hatte seine Aufmerksamkeit erweckt. Er hatte sein Pferd kurz angehalten, um es zu betrachten. Ein flinker Polizist, der dies bemerkt hatte, war sofort herangekommen, hatte das Ding aufgehoben und es ihm gereicht. Es war das Abzeichen des berühmten Königlichen Wessex-Regiments. Einige der Offiziere dieses Regiments gehörten demselben Klub an wie der Polizeipräsident. Er hatte es mit einem Lächeln in seine Tasche gleiten lassen und sich vorgenommen, das Abzeichen in der Klub-Bar einem von ihnen überreichen; ein albernes, harmloses Spiel seiner Phantasie, das ihn amüsierte.
Statt dessen holte er es nun aus der Tasche, beugte sich von seinem Pferde nieder und sagte zu dem unbekannten Kleinen: «Da, mein Junge, nimm das!» Und dann fügte er hinzu: «Es ist das Abzeichen des Königlichen Wessex-Regiments.»
Im Weiterreiten erinnerte er sich noch an etwas anderes, und das war der Ausdruck in den jetzt nicht mehr verstörten Augen des Knaben, als er das kleine Ding in der Hand hielt. In diesen Augen konnte er unendliche Dankbarkeit lesen und das ehrfurchtvolle Staunen, das einen Menschen durchbebt, der ein Wunder erlebt hat.
Du lieber Himmel, warum habe ich das getan? überlegte der Polizeipräsident, und da er keine Antwort finden konnte, wandte er seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu.
«Was für ein netter Mann!» sagte Violet Clagg. «Was hat er dir denn gegeben, Johnny?»
«Nichts!» sagte Johnny Clagg und stopfte es tief in seine Hosentasche. Seine Hand hielt es so krampfhaft, daß das Metall ihm in die Haut einschnitt. Er hatte «Nichts!» gesagt, weil es alles war — ein Talisman oder Symbol all dessen, was er je erstrebt oder geschätzt oder sich gewünscht hatte oder einmal zu werden hoffte. Er behandelte es bereits mit einem so leidenschaftlich-eifersüchtigen Besitzerstolz, daß es ihn kalt überlief bei dem ängstlichen Gedanken, man würde versuchen, es ihm wegzunehmen, oder die Großmutter könnte einen Vorwand finden, sich einzumischen.
Sie sagte tatsächlich: «Mehr Zeug, wetten wir!», aber sie wurde durch den jungen Polizisten abgelenkt. Dankbar dafür, daß er mit heiler Haut, wenn auch nicht sehr glanzvoll davongekommen war, und in dem Bewußtsein, daß der Offizier einem Mitglied der Gruppe aus einem ihm unverständlichen Grund eine Gefälligkeit erwiesen hatte, verkündete er jetzt: «Das war der Polizeipräsident.» Und dann fügte er mit einem Blick auf die Uhr hinzu: «Die Prozession wird bald zu Ende sein. Sie werden dann passieren können.»
Wiederum marschierte eine Kapelle schmetternd auf der andern Seite vorbei. Johnny Clagg, der sein Abzeichen krampfhaft festhielt, interessierte sich nicht mehr für die Prozession, denn er war durch den Besitz dieses Gegenstandes selbst zu einem Teil des Ereignisses geworden.
«Untertänigsten Dank!» sagte Will Clagg bitter. «Was uns das schon nützen wird!»
Schließlich merkten sie, daß es keine Musik mehr gab und daß der Vorbeimarsch zu Ende war. Ein Polizei-Sergeant steckte den Kopf durch die Tür und sagte dem Polizisten etwas, das diesen aufweckte und seine Gedanken aus dem Geleise riß, auf dem sie sich bisher bewegt hatten. Bisher hatte er nur daran gedacht, daß er
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