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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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einfachen Neujahrsgruß, aber ohne Neuigkeiten. Hatte er noch Probleme mit dem Rücken? Und was war mit den Nierensteinen seiner Frau? Das Foto seiner Tochter, vor langer Zeit in Disneyland aufgenommen, stand unten auf dem Kaminsims, Charlotte sah es sich nur selten an. Alte Fotos machten sie traurig.
    Unten läutete jemand an der Haustür. Sie zog die Füße aus dem Wasser, lief mit nassen Füßen auf den Gang, die Treppe hinunter und öffnete. Geblendet vom hellen Sonnenlicht, dauerte es einen Moment, bis sie den Mann sah, der vor der Tür stand.
    »Mrs. Bridgwater?« fragte er mit näselnder Stimme.
    Charlotte nickte.
    »Würden Sie bitte hier unterschreiben?«
    Charlotte unterschrieb mechanisch, und der Mann verschwand ohne ein weiteres Wort. Beim Wegfahren gab er so viel Gas, daß der Staub auf der Zufahrt hochwirbelte.
    Sie riß das Kuvert auf. Eigentlich hätte sie es sich sparen können, denn sie wußte, was in dem Brief stand, nur nicht den genauen Betrag. Sie setzte ihre Brille auf, warf einen raschen Blick auf die Summe unterm Strich und legte den Brief seufzend zu den anderen Rechnungen in die Schublade des Büfetts. Sie schob die Schublade zu, zog sie aber gleich wieder auf und fischte eine Visitenkarte heraus. Sie ging zum Telefon, das neben dem Büfett stand, und rief die Nummer an. Sofort nahm jemand ab. Charlotte hätte den Hörer am liebsten wieder auf die Gabel geknallt, sagte dann aber mit sanfter Stimme: »Hier ist Mrs. Bridgwater.«
    An der anderen Seite der Leitung sprach jemand sehr hastig.
    »Ja, das große Haus auf dem Hügel«, bestätigte Charlotte. »Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie doch noch einmal vorbei.«

1936
An Bord der King of Scotland
     
     
     
    Mathilda steht am Kai und winkt ihrer Tochter Charlotte, die hoch über ihr an der Reling steht. Das kleine Mädchen winkt nicht zurück.
    »Ich schreibe dir jede Woche!« ruft ihre Mutter.
    Charlotte preßt die Lippen fest zusammen.
    »Das Geschenk packst du aber erst an deinem Geburtstag aus, versprichst du mir das?«
    Die Schachtel, die ihre Mutter ihr im allerletzten Moment gegeben hatte, liegt aufgerissen auf ihrem Bett in der Kabine. Die Puppe mit echtem Haar und einem weißen Kleid hat sie so fest in die Ecke gepfeffert, daß der Kopf abgebrochen ist. Das Schiffshorn ertönt, aus dem Schornstein quillt eine dicke schwarze Rauchwolke.
    Charlotte spürt, wie sich das Schiff in Bewegung setzt. Sie hält sich mit beiden Händen an der Reling fest und blickt zu ihrer Mutter hin, die winkt und winkt. Sie kann ihre Stimme nicht hören, das laute Horn ächzt seinen Abschiedsgruß.
    »Ach, hier bist du …!« Eine ältere Dame mit einem Schal in der Hand stellt sich neben sie. »Wo warst du denn? Ich konnte dich nirgends finden. Ich will nicht, daß du ohne meine Erlaubnis die Kabine verläßt.« Sie legt ihre Hand auf Charlottes Schulter. Das Mädchen blickt noch immer schweigend zu seiner Mutter in der Ferne. »Du darfst ruhig weinen, Kind, das machen alle beim ersten Mal, ich hab schon Kinder begleitet, die wollten über die Reling klettern, aber die hat der Kapitan dann in der Kabine unten im Schiffsbauch eingeschlossen und erst wieder rausgelassen, als Bombay nicht mehr zu sehen war.« Die Frau winkt mit ihrem Schal. Charlotte sieht, daß ihre Mutter nun auch ihr Taschentuch nimmt und es heftig schwenkt. »Du darfst Tante Ilse zu mir sagen, komm, wink jetzt, du siehst doch, daß deine Mutter auch winkt, zum Abschied muß man winken, los, wink!«
    Charlotte umklammert die Reling fester, das Horn brüllt noch einmal und das Schiff fährt ab. Die Passagiere um sie herum rufen: »Auf Wiedersehen!«, »Adieu!«, »Bis nächstes Jahr!«
    Die Frau, zu der sie Tante Ilse sagen darf, läßt den Arm sinken. »Wenn du nicht winkst, winke ich auch nicht, ich kenne deine Mutter nicht mal. Komm, wir gehn was essen.« Sie geht in Richtung Speisesaal, aber Charlotte bleibt an der Reling stehen. »Wenn du das die ganze Reise so machst, sag ich dem Kapitän, er soll dich unten im Schiff einschließen.« Charlotte läßt die Reling los und folgt Tante Ilse.
    Mathilda steht am Kai und weint.
     
    ***
     
    Draußen ist es dunkel, Charlotte öffnet die Tür und blickt in den Gang. Schnell huscht sie aus der Kabine. In der Hand trägt sie ein Bündel. Sie rennt die Treppe hinauf und drückt die schwere Tür auf. Auf dem Promenadendeck ist es still. Alle sind im großen Saal, da wird ein Film gezeigt, den sie nicht sehen darf, weil Tante Ilse das nicht will.

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