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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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Annahmen zurück.
    Eine ontologische Reduktion vorzunehmen setzt substantielle wissenschaftliche Erkenntnis voraus, sei diese nun natur-, geistes- oder sozialwissenschaftlicher Art. Eine bahnbrechende Bismarck-Biographie kann unser Bild vom Gegenstandsbereich der Politik genauso verändern wie jemand, der beweist, dass sich die Erde um die Sonne und das ganze Sonnensystem wiederum um irgendetwas anderes dreht.
Der Konstruktivismus
    All dies bedeutet, dass wir nicht einfach alle verschiedenen Gegenstandsbereiche ontologisch auf einen einzigen reduzieren können. Um eine ontologische Reduktion auch nur eines einzigen Gegenstandsbereiches wissenschaftlich gut begründet vornehmen zu können, muss man sich bereits einer bestimmten wissenschaftlichen Methode bedienen. Diese Methode wird sich von anderen unterscheiden. Damit hat man schon vorausgesetzt, dass es mehrere Gegenstandsbereiche gibt. Alle auf einen einzigen reduzieren zu wollen ist schlicht ein viel zu ehrgeiziges Unterfangen, das in keiner Weise der Komplexität der Wirklichkeit oder der Komplexität der menschlichen Erkenntnisformen Rechnung trägt. Eine ontologische Reduktion von allem auf eines ist bestenfalls Ausdruck unwissenschaftlicher Faulheit.
    In der Tat befindet sich die Menschheit über ziemlich viele Dinge im Irrtum. Wir können nicht einmal ermessen, wie weit unser Nichtwissen reicht, da wir in vielen Fällen keine Ahnung haben, was wir alles nicht wissen. Doch folgt daraus nicht, dass alle Gegenstandsbereiche nur menschliche Projektionen, nützliche Einteilungen einer im Übrigen von unserer Erkenntnis weitgehend unabhängigen, homogenen Wirklichkeit sind. Wer so argumentiert, landet meistens bei der paradoxen Einsicht, dass auch die Annahme einer homogenen Wirklichkeit, die wir Menschen auf verschiedene Weisen einteilen, nur eine weitere menschliche Einteilung ist. Dies verbirgt sich auch hinter einer berühmten Aussage Nietzsches:
    Nein, gerade Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen. Wir können kein Faktum ›an sich‹ feststellen: vielleicht ist es ein Unsinn, so etwas zu wollen. ›Es ist alles subjektiv‹ sagt ihr: aber schon das ist Auslegung, das ›Subjekt‹ ist nichts Gegebenes, sondern etwas Hinzu-Erdichtetes, Dahinter-Gestecktes. 12
    Ein großer Teil der in diesem Zitat enthaltenen Aussagen ist falsch, wobei Nietzsche einen Gedankengang ausdrückt, der heute in allen Wissenschaften prominente Vertreter hat. Nennen wir diesen Gedanken, von dem ich mich schon in der Einleitung abgegrenzt habe, den »Konstruktivismus«. Unter K onstruktivismus verstehe ich die Annahme, dass »wir kein Faktum ›an sich‹ feststellen« können, sondern alle Fakten oder Tatsachen selbst konstruiert haben.
    Wenn überhaupt irgendetwas für diese Annahme spricht, dann ist es der Gedankengang, dass wir wissenschaftliche Überzeugungen durch unsere Apparaturen, Medien und Theorien tatsächlich mehr oder weniger bewusst hervorbringen: Wir stellen Experimente an, formulieren Ergebnisse mit mathematischen Formeln und Gleichungen, vivisezieren Frösche, beobachten subatomare Teilchen mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern, führen Umfragen durch, vergleichen in Doktorarbeiten Goethe und Schiller oder schreiben die Geschichte der Sozialgesetzgebung von Bismarck bis zum Ende der Weimarer Republik.
    In all diesen Fällen bedienen wir uns jeweils einer bestimmten Auswahl von Methoden und gehen von bestimmten Voraussetzungen aus. Eine solche Auswahl an Prämissen, Medien, Methoden und Materialien kann man eine R egistratur nennen. Jede wissenschaftliche Untersuchung setzt voraus, dass wir uns einer bestimmten Registratur bedienen, mittels der wir wissenschaftliche Erkenntnisse produzieren. Und in der Tat gäbe es viele Registraturen nicht, wenn sie nicht von Menschen gezielt konstruiert worden wären. Nehmen wir als Beispiel ein Mikroskop, mittels dessen wir den Pesterreger, das Bakterium Yersinia pestis , beobachten. Das technische und wissenschaftliche Know-how, das für den Bau eines Mikroskops notwendig ist, ist immens, und der anschließende Beobachtungsvorgang fände nicht ohne menschliche kognitive Intervention statt. Der Weltbereich, den wir dabei beobachten, könnte auch anders beobachtet werden – mit bloßem Auge, wir könnten aber auch am Mikroskop riechen oder ein Gedicht über die Flüssigkeit verfassen, die das Bakterium enthält –, doch das Ergebnis wäre nicht das Gleiche. Daraus schließen die Konstruktivisten zu Unrecht, dass dasjenige,

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