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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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entwickeln. Ich schaffe es mühelos, ihr ein paar amerikanische Eigenschaften weiterzuvererben, wie jammern und schlecht schlafen. Andere erfordern erheblich größere Anstrengungen. Ich beginne damit, ihr einige amerikanische Feiertage nahezubringen. Halloween wird beibehalten, Thanksgiving nicht. Der 4. Juli ist nicht weit vom 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag entfernt, sodass ich das Gefühl habe, beides zu feiern. Ich weiß zwar nicht genau, was man unter authentischem amerikanischem Essen versteht, lege aber seltsamerweise großen Wert darauf, dass Bean mit Käse überbackenen Thunfisch-Toast mag.
    Es ist schon kompliziert genug, Bean dazu zu bringen, sich ein bisschen wie eine Amerikanerin zu fühlen. Doch darüber hinaus möchte ich auch, dass sie sich wie eine Jüdin fühlt. Obwohl ich sie in der Vorschule auf die Kein-Schweinefleisch-Liste gesetzt habe, scheint das nicht auszureichen, sie in ihrem Glauben zu festigen. Sie kann nach wie vor nicht verstehen, warum sie nicht Weihnachten feiern darf.
    »Ich will keine Jüdin sein. Ich will Engländerin sein!«, verkündet sie Anfang Dezember.
    Ich erwähne Gott nur ungern. Ich habe Angst, Bean zu verängstigen, wenn ich ihr sage, dass der Allmächtige überall ist – vermutlich auch in ihrem Zimmer. (Sie hat schon Angst vor Hexen und Wölfen unter ihrem Bett.) Stattdessen bereite ich im Frühling ein besonderes Pessach-Mahl zu. Noch während des ersten Segensspruchs bittet Bean, vom Tisch aufstehen zu dürfen. Simon wirft mir einen »Hab ich’s dir nicht gesagt?«-Blick zu. Wir schlürfen unsere Matzebällchensuppe und schauen dann niederländischen Fußball im Fernsehen.
    Chanukka ist dagegen ein Riesenerfolg. Dass Bean zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahr älter ist, trägt sicherlich auch dazu bei, genauso wie die Kerzen und Geschenke. Was Bean am besten daran findet, ist, dass wir in unserem Wohnzimmer singen und tanzen und uns anschließend vor lauter Schwindel zu Boden fallen lassen.
    Aber nach acht solchen Abenden und acht sorgfältig ausgewählten Geschenken ist sie immer noch skeptisch.
    »Chanukka ist vorbei, wir sind jetzt keine Juden mehr!«, verkündet sie. Dann möchte sie wissen, ob der Weihnachtsmann – alias Père Noël , von dem sie in der Schule gehört hat – auch in unser Haus kommen wird. An Heiligabend besteht Simon darauf, Schuhe mit kleinen Geschenken vor unseren Kamin zu stellen. Er behauptet, sich damit an eine niederländische Tradition anzulehnen, nicht an eine religiöse. Bean ist begeistert, als sie aufwacht und die Schuhe sieht, obwohl darin nur ein Jojo und eine Bastelschere liegen.
    » Père Noël besucht normalerweise keine jüdischen Kinder, aber dieses Jahr ist er zu uns gekommen!«, jubelt sie. Als ich sie anschließend von der Vorschule abhole, verläuft unsere Unterhaltung folgendermaßen:
    Ich: »Was habt ihr heute gemacht?«
    Bean: »Ich habe Schweinefleisch gegessen.«
    Es ist nicht das Schlechteste, ein englischsprachiger Ausländer zu sein. Englisch ist selbstverständlich die langage du jour in Frankreich. Die meisten Pariser unter vierzig sprechen es einigermaßen passabel. Beans Lehrerin bittet mich und einen kanadischen Vater, einen Vormittag in die Vorschule zu kommen, um Beans Klassenkameraden aus englischsprachigen Büchern vorzulesen. Einige von Beans Freunden nehmen sogar Englischunterricht. Ihre Eltern schwärmen, welches Glück Bean hat, zweisprachig aufzuwachsen.
    Aber es hat auch Nachteile, Ausländer als Eltern zu haben. Simon erzählt mir immer wieder, wie er als Kind in Holland zusammengezuckt ist, wenn seine Eltern in der Öffentlichkeit Niederländisch gesprochen haben. Daran muss ich denken, als die Eltern beim Jahresabschlusskonzert in Beans Vorschule gebeten werden mitzusingen. Die meisten kennen den Text. Ich summe leise mit, in der Hoffnung, dass Bean nichts merkt.
    Ich werde wohl einen Kompromiss finden müssen zwischen der amerikanischen Identität, die ich Bean mitgebe, und der französischen, die sie aus ihrer Umgebung aufsaugt wie ein Schwamm. Zum Glück scheinen Teile der angloamerikanischen Kultur einfach ansteckend zu sein. Als ich Bean eines Morgens durch die prächtigen alten Straßen unseres Viertels zur Schule bringe, beginnt sie plötzlich zu singen: »The sun’ll come out, tomorrow«. Wir singen es gemeinsam auf dem gesamten Schulweg. Mein optimistisches, amerikanisches Mädchen ist doch noch irgendwo da drin.
    Irgendwann ringe ich mich dazu durch,

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