Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
französische Erwachsene nach diesem mysteriösen caca boudin zu fragen. Sie amüsieren sich, dass ich caca boudin so ernst nehme. Wie sich herausstellt, ist es ein Schimpfwort, aber nur für sehr kleine Kinder. Sie plappern es gegenseitig nach, und zwar ungefähr zu dem Zeitpunkt, wenn sie lernen, auf die Toilette zu gehen.
Sagt ein Kind caca boudin , ist das eine kleine bêtise. Aber Eltern haben Verständnis dafür. Dieser Begriff ist eine Möglichkeit für Kinder, die Nase zu rümpfen und über die Stränge zu schlagen. Die Erwachsenen, mit denen ich spreche, verstehen, dass Kinder, die so viele Regeln und Grenzen beachten müssen, auch ein paar Freiheiten brauchen. Caca boudin verleiht Kindern Macht und Autonomie. Beans frühere Lehrerin Anne-Marie lächelt nachsichtig, als ich sie auf caca boudin anspreche. »Das schnappen sie aus ihrer Umgebung auf«, erklärt sie. »Wir haben das auch gesagt, als wir noch klein waren.«
Das bedeutet nicht, dass Kinder caca boudin sagen können, wann sie wollen. Der Erziehungsratgeber Votre Enfant schlägt vor, den Kindern zu sagen, dass Schimpfwörter nur auf der Toilette verwendet werden dürfen. Manche Eltern verbannen solche Wörter auch nur vom Esstisch. Sie verbieten ihren Kindern nicht, caca boudin zu sagen, sie bringen ihnen nur bei, es passend einzusetzen.
Als Bean und ich eine französische Familie in der Bretagne besuchen, strecken sie und deren kleine Tochter Leonie der Großmutter die Zunge heraus. Die Großmutter befiehlt ihnen sofort, sich zu setzen, und erklärt ihnen, wann man so etwas tun darf.
»Wenn ihr allein auf eurem Zimmer seid. Wenn ihr auf der Toilette seid. Man darf barfuß laufen, die Zunge herausstrecken, auf jemanden zeigen, caca boudin sagen. Aber nur, wenn man allein ist. In der Schule: non . Am Esstisch: non . In Gegenwart der Eltern: non . Auf der Straße: non. C’est la vie . Ihr müsst den Unterschied lernen.«
Als Simon und ich mehr über caca boudin wissen, beschließen wir, unser Verbot aufzuheben. Wir sagen Bean, dass sie das Wort in den Mund nehmen darf, allerdings nicht zu oft. Uns gefällt die Philosophie, die dahintersteckt, und manchmal sagen wir es sogar selbst. Ein Schimpfwort nur für Kinder: Wie kurios! Wie französisch!
Doch wie sich irgendwann herausstellt, ist die soziale Tragweite von caca boudin doch etwas zu komplex für uns. Als an einem Sonntagnachmittag der Vater einer von Beans Freundinnen kommt, um seine Tochter vom Spielen bei uns abzuholen, hört er, wie Bean caca boudin schreit, als sie durch den Flur läuft. Der Vater, ein Banker, mustert mich misstrauisch. Ich bin mir sicher, dass er den Vorfall seiner Frau gegenüber erwähnen wird. Seitdem war seine Tochter nie mehr bei uns zu Hause.
43 Debra Ollivier, What French Women Know: About Love, Sex and Other Matters of Heart and Mind (New York: G. P. Putnam’s Sons 2009.
44 Die Bücher der Petit Princesse -Reihe von den Autoren Jacques Beaumont, Fabienne Blanchut und Camille Dubois sind auch auf Deutsch unter dem Titel Kleine Prinzessin in einer Übersetzung von Regina Enderle im Fleurus Verlag, Saarbrücken, erschienen, die Titelheldin Zoé heißt hier Julia.
Doppelt gemoppelt
Ich habe also mein Buch beendet. Und eines Tages habe ich mich sogar eine herrliche Viertelstunde lang (vor dem Frühstück) meinem Zielgewicht bis auf hundert Gramm genähert. Ich bin jetzt mehr als bereit, wieder schwanger zu werden.
Aber es klappt nicht.
Alle um mich herum sind schwanger. Bei meinen Freundinnen, die wie ich Ende dreißig sind, scheint gerade ein letztes Aufbäumen der Fruchtbarkeit stattzufinden. Als ich Bean bekam, ging das so einfach und schnell, wie sich eine Pizza nach Hause liefern lassen. Es klappte schon beim ersten Versuch.
Aber diesmal gibt es keine Pizza. Während die Monate vergehen, spüre ich, wie der Altersunterschied zwischen Bean und ihrem potenziellen Geschwisterchen immer größer wird. Ich glaube nicht, dass ich noch viel länger warten kann. Bekomme ich nicht bald das zweite Kind, wird das dritte biologisch unmöglich. Meine Uhr tickt.
Meine Ärztin sagt, mein Zyklus sei zu lang. Das Ei dürfe nicht so lange herumliegen, bevor es sich aufmacht, einen Partner zu suchen. Sie verschreibt mir ein Medikament, das mehr Follikel springen lässt und die Chancen erhöht, dass einer davon fit genug bleibt bis zur Befruchtung. Währenddessen rufen mich immer mehr Freundinnen mit der frohen Botschaft an, dass sie schwanger sind.
Ich freue mich für
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