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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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weiß, vielleicht wurde sie schon in die gefürchtete Schublade mit dem Etikett »schlecht erzogen« gesteckt.
    Ich versuche, die Anthropologin in ihr anzusprechen, indem ich ihr erkläre, dass bonjour eine einheimische Sitte ist, die sie respektieren muss.
    »Wir leben in Frankreich, und für Franzosen ist es äußerst wichtig, dass man bonjour sagt. Also müssen wir es auch sagen«, ermahne ich sie. Ich trainiere mit ihr im Lift, bevor wir auf Kindergeburtstage gehen und französische Freunde zu Hause besuchen.
    »Was sagst du, wenn wir reinkommen?«, frage ich nervös.
    »Caca boudin«, erwidert sie.
    Wenn wir dann hereinkommen, sagt sie meist gar nichts. Also absolviere ich das Ritual, sie öffentlich aufzufordern, bonjour zu sagen. Auf diese Weise zeige ich wenigstens, dass ich die Norm anerkenne. Vielleicht bringe ich es ihr so auch irgendwann bei.
    Eines Tages gehen Bean und ich zu ihrer Vorschule, als sie sich spontan zu mir umdreht und verkündet: »Auch wenn ich schüchtern bin, muss ich bonjour sagen.« Vielleicht hat sie das in der Schule aufgeschnappt. Wie dem auch sei – es stimmt. Und es ist gut, dass sie das weiß.
    Obwohl ich ein zwiespältiges Verhältnis zu Beans französischer Erziehung habe, will ich, dass sie zweisprachig aufwächst. Simon und ich reden nur Englisch mit ihr. In der Vorschule spricht sie ausschließlich Französisch. Manchmal staune ich, dass ich ein Kind geboren habe, das mühelos Sätze mit carottes rapées und confiture sur le beurre aussprechen kann.
    Ich hatte geglaubt, dass kleine Kinder Sprachen einfach »aufschnappen«. Dabei ist es eher ein langwieriger Lernprozess aus Versuch und Irrtum. Einige Leute sagen, Beans Französisch habe immer noch einen amerikanischen Akzent. Auch wenn Bean nie außerhalb des Pariser Rings gewohnt hat, scheint sie dank uns etwas Amerikanisches auszustrahlen. Als ich sie an einem Mittwochvormittag zu ihrem Musikunterricht bringe (normalerweise tut das der Babysitter), stelle ich fest, dass die Lehrerin Pidgin-Englisch mit Bean redet, obwohl sie mit den anderen Kindern Französisch spricht. Später bittet eine Ballettlehrerin ihre aus kleinen Mädchen bestehende Klasse, sich flach auf den Boden zu legen comme une crêpe . Dann wendet sie sich an Bean und sagt » comme un pancake «.
    Eines der vielen französischen Wörter, die durch Bean unser englisches Vokabular infiltriert haben, ist bêtise und bedeutet Unsinn. Steht Bean unerlaubt vom Tisch auf, nascht sie eine verbotene Süßigkeit oder wirft sie eine Erbse zu Boden, sagen wir, dass sie eine bêtise macht. Bêtises sind schlimm, aber nicht sehr schlimm. Zu viele davon können eine Strafe nach sich ziehen, eine einzige bêtise eher nicht.
    Wir haben uns auf das französische Wort geeinigt, weil es keine gute englische Übersetzung für bêtise gibt. Auf Englisch würde man nicht sagen, dass das Kind Unsinn macht. Wir neigen eher dazu, das Kind selbst zu brandmarken statt das Vergehen, indem wir sagen, es sei ungezogen oder böse.
    Diese Formulierungen spiegeln jedoch die Unangemessenheit der Handlung nicht wirklich wider. Auch auf Englisch gibt es natürlich einen Unterschied zwischen »auf den Tisch hauen« und »einen Menschen hauen«. Aber wenn ich ein Fehlverhalten als Unsinn verbuchen, es als bloße bêtise bezeichnen kann, hilft mir das, angemessen zu reagieren. Ich muss nicht gleich ausflippen oder zusammenbrechen, wenn Bean etwas Verbotenes tut oder meine Autorität infrage stellt. Manchmal ist es bloß eine bêtise . Dass ich dieses Wort dafür habe, beruhigt mich.
    Auch ich lerne viele neue französische Vokabeln – nicht nur von Bean, sondern auch aus den französischen Kinderbüchern, die wir auf einmal unser Eigen nennen, Geburtstagspartys, Spontankäufen und Hinterhofflohmärkten sei Dank. Ich achte darauf, Bean nicht auf Französisch vorzulesen, wenn es in Hörweite einen französischen Muttersprachler gibt. Ich bin mir meines amerikanischen Akzents bewusst und weiß auch, dass ich über das eine oder andere Wort stolpere. Meistens bemühe ich mich so sehr, bloß nichts falsch auszusprechen, dass ich erst beim dritten Lesen begreife, worum es in der Geschichte eigentlich geht.
    Bald merke ich, dass die französischen und die englischen Kinderbücher beziehungsweise Lieder nicht nur in unterschiedlichen Sprachen geschrieben sind. Oft haben sie auch ganz unterschiedliche Botschaften. In amerikanischen Büchern gibt es meist ein Problem, Versuche, das Problem zu lösen, und

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