Warum gibt es alles und nicht nichts? - Precht, R: Warum gibt es alles und nicht nichts?
richtig.
Weißt du, woran das liegt? Stell dir mal ein Auto vor, das nachts über eine Landstraße fährt. Wohin der Autoscheinwerfer fällt, das wird ganz hell. Aber der Rest bleibt im Dunkeln. So ähnlich ist es mit unserer Aufmerksamkeit. Der Mann mit dem Fahrrad vorhin ist zum Beispiel im Dunkeln geblieben. Oder auch die Schilder der Bahnstationen.
Ich habe an was anderes gedacht. An den Tierpark und so.
Und weißt du noch, wie wir im Sommer im Urlaub waren und hatten so einen Riesenhunger …
Wir sind fast umgefallen vor Hunger. Mir war richtig schlecht.
Also haben wir uns nur darauf konzentriert, etwas zu Essen zu finden. Oder hast du dir etwa gemerkt, an wie vielen Ampeln wir vorbeigekommen sind?
Nein. Für uns war das nicht wichtig.
Eben. Je stärker man sich dabei auf eine bestimmte Sache konzentriert, umso weniger bekommt man von anderen Dingen mit. Es wird aber trotzdem von deinem Gehirn gespeichert – nur quasi unsichtbar. Unser Gehirn teilt unsere Erlebnisse nämlich ein. Sozusagen in zwei Schubladen: in das Bewusste und in das Unbewusste. Das Erste sind Sachen, die man sich mit Absicht merkt. Und in der zweiten Schublade sind die Sachen, die man mitkriegt, ohne es zu merken. Das ist bei allen normalen Menschen so. Außer …
Außer?
Erinnerst du dich, dass ich dir mal von den Menschen erzählt habe, die » verrückt schlau« sind?
Ja, von dem Mann aus Los Angeles, der sich alles merken kann, was er sieht. Der mit dem Hubschrauber geflogen ist …
Genau. Die Geschichte von Stephen Wiltshire. Er ist mit dem Hubschrauber eine Stunde über Rom geflogen, eine Stadt, in der er noch nie war. Und anschließend hatte er eine Woche Zeit, alles zu zeichnen, was er während des Fluges gesehen hat. Er hat ein Bild der Stadt Rom gemalt, wie man sie aus der Luft sieht. Tausende von Häusern. Und alles stimmte haargenau. Sogar die Zahl der Fenster in jedem Haus und jeder Baum und jede Ampel.
Der ist verrückt schlau, Papa.
Ja, der ist so verrückt schlau, dass er immer eine sehr dunkle Sonnenbrille anziehen muss, damit er nicht zu viel sieht und Kopfschmerzen bekommt. Außerdem läuft er immer mit einem I-Pod herum und hört Musik, damit er nicht zu viele Geräusche mitbekommt.
Ich möchte nicht verrückt schlau sein, Papa … Dann merkt man sich alle schrecklichen Dinge. Man kann gar nicht mehr richtig neu in die Welt rein.
Nein, ich möchte auch nicht verrückt schlau sein. Und das sind wir ja auch nicht. Wer verrückt schlau ist, der kann das Wichtige auch gar nicht mehr vom Unwichtigen unterscheiden, weil er sich ja einfach alles merkt. Und alles ist gleich wichtig.
Dann kann man sich gar nicht mehr unterhalten.
Das stimmt, Oskar. Deswegen ist es gut, dass das allermeiste, was dein Gehirn und mein Gehirn speichern, sofort in die Schublade wandert, die fest verschlossen ist. Allerdings passiert es manchmal, dass einem plötzlich etwas einfällt, das man zuvor völlig vergessen hatte. Ist dir das auch schon mal passiert?
Ja, das mit dem EHEC -Erreger.
Daran erinnerst du dich?
Da ist mir plötzlich mitten im Gespräch eingefallen, dass es doch mal dieses EHEC gab …
Ja, das ist ein schönes Beispiel. Manchmal schießt einem etwas in den Kopf, was man eigentlich gar nicht mehr richtig drinhatte.
Ich glaube, jetzt sind wir so weit und können unsere sechste philosophische Einsicht aufschreiben:
Der Mensch ist ein Tier mit einer begrenzten Aufmerksamkeit. Unser Gehirn speichert das Bewusste, und es speichert das Unbewusste. Während wir uns an das Bewusste oft gut erinnern können, kommen wir an das Unbewusste meist nicht heran.
Inzwischen sind wir zu Hause angekommen. Bevor ich aufschließe, lasse ich Oskar noch einen Blick auf das Klingelschild werfen, auf dem PRECHT steht.
Wer wohnt hier, Oskar?
Wir, Papa.
Wer ist » Wir«?
Du und ich.
Und woher weißt du, Oskar, wer ich ist? Kennst du dieses » ich«? Oder fühlst du nur irgendwie, dass du » ich« bist?
= Wer ist » Ich«?
Im Technikmusuem
Wer ist »Ich?«
Das Deutsche Technikmuseum ist ein gewaltiges Gebäude in Berlin-Schöneberg. Früher war hier ein Güterbahnhof. Die Schienen sind noch zu sehen, und zwischen dem alten Kopfsteinpflaster wachsen überall Pflanzen. Im Hauptgebäude hängen Flugzeuge an der Decke, man kann ausrangierte Lokomotiven besichtigen und alte Schiffe.
Eine ganz besondere Attraktion ist das Science Center Spectrum in einem der Nebengebäude. Hier werden komplizierte Dinge erklärt wie Strom oder Magnetismus. Zu alledem gibt es
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