Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
für Stück abhanden gekommen.
Ich bin also kein Atheist. Manche nennen mich Agnostiker, aber auch dieses Etikett höre ich nicht gern. Denn derartige Schlagwörter verdecken die lebendige Auseinandersetzung und die unabschließbare Arbeit am historischem Material. Die Geschichte der europäischen, besonders der mittelmeerischen Kultur bildet mein tägliches Arbeitsfeld, zu ihm gehört auch das Christentum. Ich akzeptiere den Titel ‹Agnostiker› zur Not, nur um nicht verwechselt zu werden mit Kompromißlern, von denen mir einer gestand, er glaube nicht, aber er versuche zu glauben. Ich unterdrückte die Frage, ob er denn jetzt nicht alt genug sei, um mir zu erzählen, was bei diesen Versuchen herausgekommen ist. Ein anderer schrieb, er glaube zu glauben. Von diesen Lauen unterscheide ich mich durch den Genuß klarer Kälte: Ich glaube nicht, und ich glaube auch nicht zu glauben; ich will es nicht versuchen. Ich habe es versucht und berichte vom negativen Ergebnis meiner Versuche. Ich hatte Zeit genug für viele Anläufe. Hier sage ich, was dabei herauskam.
2. Was mir alles nicht fehlt
Wie fühlt es sich an, wenn man kein Christ mehr ist? Jedenfalls anders als Prediger behaupten. Sie sagen gern, ein Leben ohne Gott und ohne Glauben sei sinnlos. Sie malen sich den Ungläubigen aus als sehne er sich nach seinem Kinderglauben zurück, als fehle ihm etwas Wesentliches. Beklagt er nicht wenigstens die Abwesenheit Gottes? Sollte er nicht Zeugnis ablegen von der entstandenen Leere? Sucht er nicht Geborgenheit, Zuversicht? Braucht er nicht Lebensmut aus Lebenssinn? Wohlwollende Christen blicken ihn mit mitleidigem Auge an. Manche drücken ihm eine fromme Broschüre in die Hand, um seinen Glauben wiederzuentfachen. Orthodoxe forschen nach Hochmut und anderen Lastern, die ihn am Glauben zweifeln lassen, für den es doch evidente Gründe gebe. Sie sehen ihn zu Recht bestraft durch ein trostloses Leben, habe er doch den Eid gebrochen, den seine Taufpaten für ihn geschworen haben, für immer dem Satan zu entsagen. Verständnisvollere Fromme dichten ihm ein gebrochenes Bewußtsein an. Manche können es gar nicht glauben, daß ein relativ netter Kerl den Glauben wegwirft, den sie für so kostbar halten. Muß er nicht Angst haben, wenn er demnächst nach dem Tod vor den Weltenrichter tritt und Rechenschaft ablegen muß von jedem glaubensfeindlichen Wort, das aus seinem Mund kam? Manche sehen mich in den Klauen Satans, andere überantworten mich der Barmherzigkeit Gottes und anerkennen, daß ich mir Mühe gegeben habe. Sie bringen mich in ihrer Schublade ‹Gottsucher› unter. Gerade dieses Etikett weise ich zurück; es ist eine Art der Eingemeindung. Mein Fall ist ein anderer: Ich habe Gott gesucht und habe ihn nicht gefunden. Ich habe dabei meine rheinische Fröhlichkeit nicht eingebüßt; ich lebe und arbeite in Heiterkeit. Ich mache mir über meine Zukunft keine Illusionen; ich weiß, daß ich in absehbarer Zeit sterben werde; ich rechne nicht damit, daß die Menschheit ewig fortbestehen wird; die Sonne wird wohl einmal aufhören zu leuchten. Aber mein Leben ist nicht sinnlos. Ich habe nichts weggeworfen außer Formeln; mir fehlt nichts, was ich einmal hatte. Ich habe nur etwas genauer hingesehen, und dabei bröckelte die barocke Stuckherrlichkeit alter Beweispaläste ab. Ich habe an Inhalt nichts verloren: Ich kenne die Entwicklungsschritte Jahwehs; ich lehne seine Opfersucht und Blutrünstigkeit ab; ich beteilige mich nicht an der Lobhudelei, die er sich wünscht. Der himmlische Hofstaat ist schöne orientalische Poesie.
Ich streiche Jesus nicht aus meiner Vorstellungswelt. Mich interessiert das Für und Wider der nachweisbaren Wirkungen, die er ausgelöst hat und noch auslöst. Für seine Hoheitstitel verweise ich auf historisch gebildete Theologen, von denen zu lernen ist, wie er zu ihnen gekommen ist. Ich weiß sehr wenig von ihm. Aber sicher ist, daß er in den Evangelien nicht sagt:
Ich bin wahrer Gott, und zwar die zweite Person der Trinität, außerdem bin ich vollständiger Mensch und lasse mich für euch kreuzigen, damit ihr von der Erbsünde befreit werdet und Gott euch wieder gnädig sei.
Hätte er so geredet, hätte er den Christen zweitausend Jahre Streit über seine Natur und Sendung erspart. So hat er aber nicht geredet. Im übrigen schildern die Evangelien ihn so sanft nicht, wie heute oft die Pastoren: Er hat Ungläubigen ewige Höllenstrafen angedroht. Er hat sich und andere über das nahe Weltende
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