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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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dagegen unternehmen können? Nun, die Regierung hätte einige politische Maßnahmen ergreifen können, um die ganze Sache ein wenig abzukühlen, zum Beispiel den vermehrten Bau von Sozialwohnungen oder die Lockerung der Planungsvorgaben, wodurch der Wohnungsbau erleichtert worden wäre. Sie hätte die staatlichen Hilfen für Hypotheken streichen können, die allein zum Erwerb von Renditeobjekten dienten, und dadurch einen Hemmschuh in einen der Hauptspekulationsbereichegeworfen. Und sie hätte finstere Drohungen von sich geben können, sie sei im Begriff, eine Immobiliensteuer einzuführen.
    Aber die Immobilienblase wirkte sich so wunderbar auf die Konsumausgaben aus, die wiederum so wunderbar das Wirtschaftswachstum ankurbelten; und die wachsende Wirtschaft (auch wenn ihr Wachstum sich nicht würde aufrechterhalten lassen) führte auf so herrliche Weise in ein wahres Paradies von freizügigen Staatsausgaben und verhältnismäßig gering steigenden Steuern, dass die Regierung – in diesem Fall also Gordon Brown, der damals Schatzkanzler und somit de facto für die Innenpolitik während der Boom-Jahre verantwortlich war – keinen Anlass sah, irgendetwas zu unternehmen.
    Ich habe bisher über Zinssätze, Inflation und ähnliche Themen in e Ce Tnteriner Art gesprochen, wie das üblicherweise auch Ökonomen tun, nämlich so, als seien sie rein technische Phänomene, die bestimmen, wie die Wirtschaft funktioniert. Aber man kann sie auch aus einer ganz anderen Warte betrachten, und zwar im Zusammenhang mit der Frage, wem sie unmittelbar nützlich sind und wem sie schaden. Für Menschen, die ein festgelegtes Einkommen haben, ist eine hohe Inflation eine Katastrophe, wohingegen Regierungsbeamte und andere Angestellte, deren Einkommen inflationsgeschützt ist, viel weniger darunter zu leiden haben. Für einen Sparer aus der Mittelschicht wiederum kann sie üble Folgen haben, und für Menschen mit Schulden bringt sie entweder den Ruin oder – falls es sich bei ihren Schulden um einen festen Betrag handelt, dessen tatsächlicher Wert sinkt, weil die Inflation ihn sozusagen auffrisst – ein Geschenk des Himmels.
    In einem Land mit Mindestlohn trifft die Inflation die Armen längst nicht so schwer wie in einem Land, wo es so etwas nicht gibt; sie kann diesen Menschen sogar manchmal nützlich sein, falls sie Schulden haben und die Inflation dafür sorgt, dass deren reeller Wert sinkt. Auch eine verschuldete Eigenheimbesitzerin aus der Mittelschicht kann von der Inflation profitieren, weil dadurch der Wert ihrer Hypothek sinkt; wennaber dieselbe Hausbesitzerin in der unglücklichen Lage ist, anderen Leuten Geld geliehen zu haben, dann hat sie ein Problem, denn wenn das Geld zurückgezahlt wird, ist sein Wert geringer als zu dem Zeitpunkt, an dem sie es verliehen hat. Und diese Probleme sind durchaus nicht abstrakt. Das Leben einzelner Menschen wird schwieriger oder leichter, während Zinssätze und Inflation einander umtanzen. Manchen nehmen sie etwas weg, anderen geben sie etwas dazu.
    Das klassische Beispiel – und gleichzeitig die Lieblingshorrorgeschichte eines jeden Ökonomen – ist die Situation Deutschlands nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als es in eine galoppierende Inflation bzw. eine Hyperinflation geriet. Zu Beginn der zwanziger Jahre kollabierte die ohnehin von der Kriegsniederlage geschwächte deutsche Wirtschaft endgültig, weil man zusätzlich zu den Bemühungen, die Reparationszahlungen aufzubringen, die von den europäischen Siegermächten eingefordert wurden, auch noch versuchte, einen Sozialstaat zu schaffen. Die Regierung druckte so viel Geld wie sie nur konnte, und die Inflation geriet vollkommen außer Kontrolle. Im Jahr 1914 wurde die damalige deutsche Währung noch im Verhältnis 4,20 zu 1 getauscht; 1922 waren es 190 Mark zu 1 Dollar und am Ende desselben Jahres stand sie bei 7600 zu 1. Im November 1923 war ein Dollar 630 Milliarden Mark wert und ein Laib Brot kostete 140 Milliarden Mark. Deutschland konnte dieser Belastung kaum noch standhalten – was einer der wichtigsten, wenn nicht gar der Hauptgrund für den Erfolg der Nationalsozialisten war.
    Das ist auch der Grund, warum in Deutschland beim Thema Inflation die Gefühle derart hochkochen und man dort das Bedürfnis nach einer starken und stabilen Währung hat. Diesen Zusammenhang macht man sich außerhalb Deutschlands nicht ausreichend bewusst. Für einen Nicht-Deutschen kann der starke Hang dieses Landes zu wirtschaftlicher Strenge und

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