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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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Märkte ins Schlingern gerieten. Diese Auffassung war eigentlich paradox, denn es gab einen berühmten Ausspruch Greenspans aus dem Jahr 1996, in dem er schon damals vor »irrationalem Überschwang« an der Börse gewarnt hatte. Aber es scheint ganz so, als hätte er das eine gesagt und in Wirklichkeit etwas ganz anderes getan. Denn hätte er tatsächlich geplant, diesen Überschwang ein wenig abzukühlen, dann hätten ein paar scharfe Zügelrucke mithilfe des Leitzinses und die eine oder andere abschreckende Rede dies durchaus vermocht.
    Man kann das Ansehen und den Einfluss Greenspans auf den damaligen Märkten gar nicht hoch genug einschätzen. Richard Posner beschreibt es in seinem Buch A Failure of Capitalism so: »Greenspans ungeheures Ansehen gab ihm beinahe völlig freie Hand, doch er setzte diese Freiheit nicht ein. Er hätte mit Leichtigkeit die Immobilienblase durch das Anheben der Zinsen ersticken und die riskanten Kreditvergabepraktiken unterbinden können, indem er die Macht der US-Notenbank stärker zur Kontrolle der Geschäftsbanken genutzt hätte.Doch er glaubte, er könne politisch kontroverse Entscheidungen vermeiden und einfach nur darauf warten, dass die Blasen, die sich ganz von allein gebildet hatten, auch ganz von allein wieder platzten, um dann im Nachhinein durch Zinssenkungen die schlimmsten Schäden zu beseitigen.« 37
    Die Situation war von gegenseitiger Bewunderung geprägt: Greenspan liebte die einer vollkommen unverfälschten Doktrin folgenden Märkte, und die freien Märkte liebten ihn. Das war auch der Grund, warum es ihm damals und auch später so widerstrebte, irgendwelche Blasen zum Platzen zu bringen: Wer hatte schon das Recht, sich in den Wirkungskreis der Märkte einzumischen, die per definitionem eine größere Weisheit und Selbsterkenntnis besaßen als irgendeine Einzelperson? Der freie Markt war ein mystisches Wesen, dessen Gebote heilig und um jeden Preis zu befolgen waren. Und wenn der Markt eine Blase haben wollte, dann sollte er eben eine Blase bekommen.
    Doch dann kamen der Dotcom-Crash und die Enron-Pleite. Und dies ist, wie man rückblickend sagen muss, der Punkt, an dem Greenspan die Dinge entglitten. Am 3. Januar 2001 gab er seine bisherige Strategie der langsamen und allmählichen Veränderung der Zinssätze auf und stutzte sie um einen halben Prozentpunkt, so dass sie nun bei 6 Prozent standen. In den darauffolgenden Monaten ließ er weitere Zinssenkungen folgen – ein Beispiel für den »Greenspan put«, wie es eklatanter gar nicht sein könnte. Eigentlich, so sollte man meinen, hätten die Märkte, die bereits 1996 von »irrationalem Überschwang« geprägt und seitdem nur noch weiter gestiegen waren, e Cegean meininen Crash ganz gut gebrauchen können, und das sogar dann, wenn er zu einer kleinen, unbedeutenden Rezession geführt hätte. Am besten könnte man die Situation vielleicht mit der Forstwirtschaft in einem trockenen, heißen Gebiet vergleichen. Die Landschaft braucht das Feuer – und zwar möglichst kleine Brände in regelmäßigen, aber nicht allzu kurzen Abständen. Falls man ihr diese Brände verwehrt, breiten sich Unterholz und Gestrüpp ungehemmt aus und liefern damit eine gefährlicheMenge Brennmaterial für ein großes Feuer, das irgendwann unweigerlich ausbrechen wird.
    Hatte sich Greenspan vielleicht ein wenig zu sehr in seine eigene Propaganda verliebt, in der er als allwissender Prophet dastand, an dessen meisterhaft dosierten Einsatz des Leitzinshebels niemand zuvor auch nur im Entferntesten herankam? Oder hatte er vielleicht begonnen, dem ganzen Tamtam Glauben zu schenken, das um die neuen Finanzinstrumente veranstaltet wurde? Das scheint zumindest aus einer Rede hervorzugehen, die er ein Jahr nach seinem Kommentar zum »irrationalen Überschwang« hielt; er meinte damals, wir würden gerade Zeugen einer neuen Ära des »mustergültigen aktiven Kreditmanagements«. Was es auch gewesen sein mag, er hatte auf jeden Fall den alten Grundsatz vergessen, den schon mein Vater immer gern zitierte: »Alles, was du brauchst, um ein Investmentgenie zu werden, ist ein sehr kurzes Gedächtnis und anziehende Kurse.«
    Wir werden nie erfahren, was sich Greenspan damals tatsächlich dabei gedacht hat, und er wird es uns auch nicht erzählen. Jedenfalls begannen sich zu dem Zeitpunkt einige Beobachter zu fragen, ob die Zinsen nicht zu schnell und zu radikal gesenkt worden waren. Im Jahr 2003 stand der Leitzins schon bei 1 Prozent und blieb ein ganzes

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