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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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Disziplin fast wie Besessenheit wirken, eine fixe Idee, eine willkürliche und die Sachlage verzerrende Verbissenheit in ein ganz bestimmtes einzelnes Problem. Und bis zu einem gewissenGrad stimmt das auch – aber es gibt sehr gute Gründe für diese Besessenheit, Gründe, die bis tief in die Ursprünge des heutigen deutschen Staates reichen. Ein Symbol dafür mag sein, dass die deutsche Währung in der Verfassung besonders geschützt ist – was für die Zukunft des Euro von größter Bedeutung sein könnte. Aber sie zeigt auch, wie umfassend diese Frage mit der nationalen Psyche verknüpft ist.
    ***
    Die Regulierungen, oder vielmehr deren Ausbleiben oder nur sehr halbherzige Umsetzung, spielten bei der Kreditkrise eine ganz wesentliche Rolle. Viele, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Ursachen der Krise zu erforschen, glauben sogar, dass dieses Problem die Hauptrolle spielte. Solche Untersuchungen der Banken- und Kreditkrise tendieren dazu, ihre Erklärungen – und somit auch Schuldzuweisungen – aufdie vier folgenden Faktoren zu beschränken: Habgier, Dummheit, die Regierungen und die Banken. Das Ganze ähnelt einem fröhlichen Spiel des Flaschendrehens – man wirbelt die Flasche im Kreis herum und sie bleibt bei einem der vier stehen. Und das Schöne ist: Man kann es mehr als einmal spielen.
    Es gibt nicht wenige Spielteilnehmer, bei denen die Flasche am Ende auf die Regierungen zeigt. Dabei betonen sie besonders die fehlende Regulierung. Ihr Argument, das zum Beispiel Richard Posner sehr eindringlich formuliert hat, lautet: »Wir haben aus dieser Krise gelernt, dass wir wesentlich aktivere und intelligentere Regierungen brauchen, um unser Modell des kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht völlig aus dem Gleis geraten zu lassen. Die Bestrebungen, die Finanzindustrie zu deregulieren, gingen viel zu weit, denn man war sich viel zu sicher, dass der Laissez-faire-Kapitalismus über ein hohes Maß an Widerstandsfähigkeit und eine mystische Kraft zur Selbstheilung verfügte.« 40
    Die Finanzindustrie mag zwar die Krise verursacht haben, aber ohne das Versagen der Regierungen, die jahrzehntelang der Ideologie des unverfälschten Laissez-faire-Kapitalismusanhingen, wäre es nie so weit gekommen. Mit dieser Ideologie erlaubte man es den Bankern im Grunde genommen, ihre ganz eigenen Regeln aufzustellen – oder vielmehr gerade eben nicht aufzustellen. Wir haben einen jahrzehntelangen Prozess der Deregulierung und Marktöffnung durchlaufen. In dieser Zeit haben wir uns sämtlicher Vorkehrungen entledigt, die dazu gedacht waren, der Finanzwelt bei ihrer Selbstregulierung, die sie doch eigentlich mithilfe der sogenannten »Marktdisziplin« vollziehen sollte, ein wenig auf die Finger zu schauen.
    Dieser Prozess vollzog sich in den unterschiedlichsten Varianten. Eine davon war die Nicht-Regulierung. Sie ist zu beobachten, wenn ein neues Produkt auftaucht und die Branche darum wirbt, es ohne umfassende regulative Kontrolle (oder im Idealfall auch ganz ohne) auf den Markt zu werfen. Einen solchen Fall, der bei der Krise auschlaggebend war, gab es zum Beispiel bei den neuen Derivaten. Die CDSs und CDOs wurden nicht in Steintafeln gemeißelt und sozusagen von höchster Stelle in Kraft gesetzt, sondern sie wurden erfunden. Und für ihren Einsatz auf dem Derivatemarkt haben die Banken, die sie schufen, hartnäckig gekmpft, gegen die anfängliche Skepsis der Aufsichtsbehörden und trotz des einen oder anderen besorgten Worts aus dem Munde einiger Politiker. Zu dem Zeitpunkt, als die Derivate einen ganz neuen Stellenwert bekamen, stand das erste Baseler Regelwerk längst fest.
    In dieser Tatsache erkannten die Banken sowohl die Gefahr, dass die Regierungen nun womöglich eingreifen und den riesigen neuen Markt unter die Fuchtel irgendwelcher Gesetze zwingen könnten, als auch die Chance, in die Bresche zu springen und sich einfach selbst die Regeln zu geben. Deshalb gründete man 1985 die »International Swaps and Derivatives Association« (Internationaler Verband für Tausch- und Derivatgeschäfte), eine Handelsvereinigung der großen internationalen Banken. In den folgenden Jahren gewann die ISDA mehrere Schlachten mit den verschiedensten Aufsichtsbehörden und erkämpfte sich das Recht, sich selbstzu regulieren.
    Dabei kam ihr zugute, dass der Vorsitzende der US-Notenbankein so leidenschaftlicher und g Ctlint> 24 äußerst effizient ohne jede Regulierung funktionieren, ist ein überzeugendes Argument für einen

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