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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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die Gruppe für den Umgang mit anderen geltend machte.
    Mit der Ankunft der Kolonialherrschaft begann man, die heers niederzuschreiben. Zum Beispiel war das Geschlecht der Hassan Ugaas eine diya -zahlende Gruppe von rund fünfzehnhundert Mann und bildete einen Subclan der Dir-Clanfamilie in Britisch-Somaliland. Am 8. März 1950 wurde ihr heer von dem britischen Bezirksbevollmächtigten schriftlich niedergelegt. Die ersten drei Artikel lauteten:
Wenn ein Mann der Hassan Ugaas von einer externen Gruppe ermordet wird, sollen zwanzig Kamele seines Blutgeldes (100) von seinen nächsten Angehörigen übernommen und die übrigen achtzig Kamele unter sämtlichen Hassan Ugaas verteilt werden.
Wenn ein Mann der Hassan Ugaas von einem Blutfremden verwundet wird und seine Verletzungen auf den Wert von dreiunddreißig und einem Drittel Kamelen bewertet werden, muss er zehn Kamele erhalten, und die übrigen fallen seiner jiffo -Gruppe (einer Unterabteilung der diya -Gruppe) zu.
Mord unter Mitgliedern der Hassan Ugaas wird mit einer Entschädigung in Höhe von dreiunddreißig und einem Drittel Kamelen vergolten, zu zahlen an die nächsten Verwandten des Verstorbenen. Wenn der Schuldige weder die gesamte Entschädigung noch einen Teil davon zahlen kann, muss seine Familie ihm helfen.
    Die große Bedeutung, die Tötung und Verwundung im heer hatten, weist auf einen fast unablässigen Kriegszustand zwischen den diya -zahlenden Gruppen und Clans hin. Das Kernelement des Systems bildeten Blutgeld und Blutfehden. Ein Verbrechen, das an einem Individuum begangen wurde, richtete sich gegen die gesamte diya -zahlende Gruppe und machte eine kollektive Entschädigung in Form von Blutgeld erforderlich. Wurde es nicht gezahlt, sah sich die diya -zahlende Gruppe des Schuldigen der kollektiven Vergeltung durch die Verwandten des Opfers ausgesetzt.
    Als das moderne Verkehrswesen Somalia erreichte, weitete man das Blutgeldsystem auf Personen aus, die durch Autounfälle getötet oder verletzt wurden. Das heer der Hassan Ugaas bezog sich jedoch nicht nur auf Ermordungen und Verwundungen. In Artikel 6 hieß es: »Wenn ein Mann der Hassan Ugaas einen anderen auf einer Hassan-Ugaas-Ratsversammlung beleidigt, soll er der geschädigten Partei 150 Shilling zahlen.«
    Anfang 1955 weideten die Herden von zwei Clans, den Habar Tol Ja’lo und den Habar Yuunis, nicht weit voneinander entfernt in der Nähe des Dorfes Domberelly. Ein Mann der Yuunis wurde nach einem Disput über die Kamelzucht von einem Mitglied der Tol Ja’lo verwundet. Der Yuunis-Clan schlug sofort zurück, griff die Tol Ja’lo an und tötete einen von deren Männern. Dem Blutgeldsystem zufolge boten die Yuunis den Tol Ja’lo eine Entschädigung an, die akzeptiert wurde. Wie üblich sollte das Blutgeld in Form von Kamelen persönlich übergeben werden. Bei der Übergabezeremonie tötete ein Angehöriger der Tol Ja’lo einen der Yuunis, den er fälschlich für ein Mitglied der diya -zahlenden Gruppe des Mörders hielt. Dies führte zu einem bedingungslosen Krieg, und innerhalb von achtundvierzig Stunden starben dreizehn Yuunis und sechsundzwanzig Tol Ja’lo. Der Krieg setzte sich ein weiteres Jahr lang fort, bevor es den Ältesten beider Clans, welche die englische Kolonialverwaltung zusammengebracht hatte, gelang, einen Kompromiss (den Austausch von Blutgeld) auszuhandeln, der beide Seiten zufriedenstellte und in den folgenden drei Jahren abgeleistet wurde.
    Die Zahlung von Blutgeld spielte sich unter Androhung von Gewalt und Fehden ab, und selbst wenn es gezahlt war, endete der Konflikt damit nicht unbedingt. Gewöhnlich schwächten sich die Auseinandersetzungen dann erst einmal ab, um später wieder aufzuflackern.
    Die politische Macht war in der somalischen Gesellschaft also (auf fast pluralistische Art) breit gestreut. Aber ohne die Autorität eines zentralisierten Staates, der für Ordnung, geschweige denn für die Beachtung von Eigentumsrechten, sorgte, konnten keine inklusiven Institutionen entstehen. Niemand respektierte den anderen, und niemand, auch nicht der britische Kolonialstaat, konnte Ordnung schaffen. Das Fehlen einer politischen Zentralisierung machte es Somalia unmöglich, von der Industriellen Revolution zu profitieren. In solch einem Umfeld wäre es unvorstellbar gewesen, in die neuen, aus Großbritannien kommenden Technologien zu investieren und sie zu übernehmen. Es war nicht einmal möglich, die dafür erforderlichen Organisationsstrukturen aufzubauen.
    Die

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