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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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politische Aufsplitterung Somalias hatte noch einschneidendere Folgen für den wirtschaftlichen Fortschritt. Oben haben wir einige der technischen Rätsel der afrikanischen Geschichte erwähnt. Vor der Expansion der Kolonialherrschaft im späten 19. Jahrhundert hatten afrikanische Gesellschaften weder Räder für den Transport noch Pflüge für die Landwirtschaft genutzt, und wenige besaßen eine Schrift. Äthiopien bildete eine Ausnahme, und auch Somalia hatte eine Schrift, verwendete sie jedoch nicht. Wir haben bereits von anderen derartigen Beispielen in der afrikanischen Geschichte gehört. Obwohl die Gesellschaften Räder und Pflüge kannten, verzichteten sie auf ihren Gebrauch. Im Fall des Königreichs Kongo war dies auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Wirtschaftsinstitutionen keine Anreize für die Übernahme der neuen Technologien boten. Könnte die Verweigerung der Schrift ähnliche Gründe gehabt haben?
    Wir erhalten einen gewissen Einblick in das Problem, wenn wir das Königreich Taqali betrachten, das im Nordwesten von Somalia, in den Nuba-Bergen des Südsudan, zu finden war. Es wurde im späten 18. Jahrhundert von einer Kriegergruppe mit einem Mann namens Isma’il an der Spitze gegründet, und es blieb unabhängig, bis es 1884 dem Britischen Reich einverleibt wurde. Das Volk der Taqali kannte die arabische Schrift, machte jedoch keinen Gebrauch von ihr. Nur die Könige verwendeten sie für die diplomatische Korrespondenz. Auf den ersten Blick erscheint dies rätselhaft. Über den Ursprung der Schrift in Mesopotamien heißt es allgemein, sie sei von den Staaten entwickelt worden, um Informationen aufzuzeichnen, das Volk zu verwalten und Steuern zu erheben. War der Taqali-Staat an solchen Dingen nicht interessiert?
    Mit solchen Fragen befasste sich die Historikerin Janet Ewald in den späten 1970er Jahren, als sie versuchte, die Geschichte des Taqali-Staates zu rekonstruieren. Ein Teil der Erklärung lautet, die Menschen hätten sich dem Gebrauch der Schrift aus Angst davor widersetzt, dass sie zur Kontrolle der Ressourcen, etwa wertvollen Landes, benutzt werden und dem Staat gestatten könne, derartige Vermögensgegenstände für sich zu beanspruchen. Außerdem fürchteten sie, die Schrift könne eine systematischere Besteuerung ermöglichen.
    Die von Isma’il begründete Dynastie ging nicht reibungslos in ein mächtiges Staatssystem über. Selbst wenn die Regierung es gewollt hätte, wäre sie nicht stark genug gewesen, ihren Willen gegen die Einwände der Bürger durchzusetzen. Doch daneben waren noch andere, subtilere Faktoren wirksam. Beispielsweise lehnten verschiedene Eliten die politische Zentralisierung ab, weil sie den mündlichen Dialog mit der Bevölkerung vorzogen, der ihnen ein Höchstmaß an Flexibilität gewährte. Schriftlich niedergelegte Gesetze oder Befehle dagegen konnten nicht zurückgenommen oder geleugnet werden; sie setzten Maßstäbe, welche die herrschenden Eliten vielleicht lieber nicht beachtet hätten. Mithin hielten weder die Regierenden noch das Volk die Einführung der Schrift für vorteilhaft. Die Ersteren fürchteten sich vor dem Gebrauch der Schrift durch die Herrschenden, und diese meinten, das Fehlen einer Schrift sei nützlich für ihren Machterhalt. Es war also die Politik der Taqali, welche die Einführung der Schrift verhinderte. Obwohl die Somalier eine noch schwerer zu definierende Elite hatten als die Taqali, erscheint es durchaus plausibel, dass die Benutzung der Schrift und die Übernahme von technischen Geräten aus den gleichen Gründen verhindert wurden.
    Der Fall Somalia macht deutlich, welche Folgen der Mangel an politischer Zentralisierung für das Wirtschaftswachstum hat. Die historische Literatur verzeichnet keinen Versuch, eine solche Zentralisierung in Somalia anzusteuern, und das ist auch kein Wunder. Eine politische Zentralisierung hätte dazu geführt, dass bestimmte Clans anderen unterstellt worden wären, was für sie einen Machtverlust bedeutet hätte, dem sie sich verständlicherweise widersetzten. Infolge des Fehlens einer solchen Zentralisierung und der elementarsten Eigentumsrechte bestand in der somalischen Gesellschaft nie ein Anreiz, in produktivitätssteigernde Maßnahmen zu investieren. Während im 19. und frühen 20. Jahrhundert in anderen Teilen der Welt die Industrialisierung voranschritt, waren die Somalier in Fehden verwickelt und kämpften um ihr Leben, was ihre wirtschaftliche Rückständigkeit

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