Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
ärgerten sich über die königliche Kontrolle und forderten Änderungen der politischen Institutionen sowie eine Einschränkung der Vorrechte der Krone. Im Englischen Bürgerkrieg und in der Glorreichen Revolution spielten diese Männer eine bedeutende Rolle.
Ähnliche Konflikte ereigneten sich überall. Beispielsweise sah sich der französische König Ludwig XIV. zwischen 1648 und 1654 mit der Fronde-Rebellion konfrontiert. Doch in England konnten die Gegner des Absolutismus viel leichter die Oberhand gewinnen, weil sie relativ vermögend und zahlreicher waren als die Feinde des Absolutismus in Spanien und Frankreich.
Die voneinander abweichenden Pfade der englischen, französischen und spanischen Gesellschaft im 17. Jahrhundert lassen erkennen, wie gravierend sich kleine institutionelle Unterschiede in kritischen Phasen auszuwirken vermögen. Solche Umbruchphasen können sich auf einen einzelnen Staat beschränken, wie dies 1976 in China nach dem Tod des Vorsitzenden Mao Zedong der Fall war, oder eine ganze Reihe von Staaten betreffen, so wie im Fall der Kolonisierung und später der Entkolonisierung.
Umbruchphasen sind für Staaten mit extraktiven Institutionen deshalb bedeutsam, weil es wegen der Synergien zwischen extraktiven politischen und extraktiven wirtschaftlichen Institutionen und der durch sie in Gang gesetzten stabilen Feedback-Schleife in normalen Zeiten gewaltige Hindernisse für schrittweise Reformen gibt. Die Nutznießer des Status quo sind reich und gut organisiert und können einem radikalen Wandel, der sie ihre wirtschaftlichen Privilegien und ihre politische Macht kosten würde, wirkungsvoll entgegentreten.
Sobald nun eine Umbruchphase eintritt, sind es die anfänglich kleinen institutionellen Unterschiede, die sehr stark voneinander abweichende Reaktionen auslösen. Das ist die Ursache dafür, dass England, Frankreich und Spanien völlig verschiedene Entwicklungspfade eingeschlagen und die sich durch den Atlantikhandel bietenden Chancen sehr unterschiedlich genutzt haben. Während schon kleine institutionelle Unterschiede, wie die zwischen England und Frankreich im Jahr 1588, in Umbruchphasen folgenreich sein können, so gilt dies für große institutionelle Unterschiede wie jene zwischen West- und Osteuropa erst recht. Die stark zentralisierten westeuropäischen Staaten wie England, Frankreich oder Spanien verfügten über latente Verfassungsinstitutionen (das Parlament, die États généraux und die Cortes). Daneben gab es zumindest anfangs grundlegende Ähnlichkeiten zwischen den Wirtschaftsinstitutionen, etwa das Fehlen von Leibeigenschaft.
Anders die Verhältnisse in Osteuropa. Das Königreich Polen-Litauen zum Beispiel unterstand einer Aristokratie namens Szlachta, die derart mächtig war, dass sie sogar Königswahlen eingeführt hatte. Dabei handelte es sich nicht um eine absolute Herrschaft wie in Frankreich unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV., doch gleichwohl um den Absolutismus einer Elite, die sich extraktiver politischer Institutionen bediente. Die Szlachta regierte über eine überwiegend ländliche Gesellschaft, in der sich die mehrheitlich leibeigene Bevölkerung weder frei bewegen noch selbständig wirtschaftlich betätigen durfte. Weiter östlich vertrat der russische Zar Peter der Große einen Absolutismus, der noch umfassender und extraktiver war als jener Ludwigs XIV. Karte 8 zeigt das Ausmaß der Divergenz zwischen West- und Osteuropa am Anfang des 19. Jahrhunderts am Beispiel der dunkel dargestellten Leibeigenschaft im Jahr 1800 an. Osteuropa ist dunkel, Westeuropa hell.
Karte 8: Leibeigenschaft in Europa im Jahr 1800
Die westeuropäischen Institutionen unterschieden sich allerdings nicht immer so stark von denen Osteuropas. Die Divergenz begann, wie gesagt, im 14. Jahrhundert, als der Schwarze Tod 1346 zuschlug. Davor gab es nur minimale Unterschiede zwischen den politischen und wirtschaftlichen Institutionen West- und Osteuropas. England und Ungarn wurden sogar von derselben Herrscherfamilie regiert: den Angevinen. Die wachsenden institutionellen Gegensätze, die nach dem Schwarzen Tod entstanden, führten dann zu der Divergenz zwischen Ost und West im 17., 18. und 19. Jahrhundert.
Wo jedoch kam es überhaupt zu den kleinen institutionellen Unterschieden, die den Prozess des Auseinanderdriftens in Gang brachten? Warum wies Osteuropa im 14. Jahrhundert andere politische und wirtschaftliche Institutionen auf als der Westen? Warum herrschte in England
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