Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
ein anderes Machtverhältnis zwischen Krone und Parlament als in Frankreich und Spanien? Wie wir im folgenden Kapitel noch ausführen werden, bringen sogar Gesellschaften, die weit weniger komplex sind als moderne Staaten, politische und wirtschaftliche Institutionen hervor, die das Leben ihrer Bürger dauerhaft beeinflussen. Dies gilt selbst für Gemeinschaften aus Jägern und Sammlern, wie wir durch das San-Volk im heutigen Botswana wissen, dessen Angehörige bis heute weder Ackerbau noch Viehzucht betreiben und keine permanenten Wohnsitze haben.
Keine Gesellschaft erzeugt dieselben Institutionen wie eine andere. Alle haben ihre eigenen Bräuche, ihre spezifischen Eigentumsrechte und unterschiedliche Regeln für die Aufteilung von Jagd- oder Kriegsbeute. Manche respektieren die Autorität von Ältesten, andere nicht; manche erreichen bereits früh einen gewissen Grad an politischer Zentralisierung, andere nicht. Jede Gesellschaft ist unablässig wirtschaftlichen und politischen Konflikten ausgesetzt, die infolge spezifischer historischer Besonderheiten, der Rolle von Einzelpersonen oder zufälliger Faktoren unterschiedlich gelöst werden. Diese Unterschiede sind in vielen Fällen anfangs nur gering, doch sie summieren sich und erzeugen einen institutionellen Entwicklungsprozess.
Genau wie sich zwei voneinander isolierte Populationen von Organismen in einem genetischen Entwicklungsprozess durch Mutationen langsam voneinander entfernen, driften zwei sonst ähnliche Gesellschaften langsam institutionell auseinander, was im Lauf der Jahrhunderte zu merklichen Unterschieden führen kann. In Umbruchphasen sind solche Differenzen dann oft besonders folgenreich, weil sie bestimmen, wie eine Gesellschaft auf Änderungen ihrer wirtschaftlichen oder politischen Umstände reagiert. Da beispielsweise die Bauern 1346 in Westeuropa mehr Einfluss und Autonomie besaßen als in Osteuropa, führte der Schwarze Tod zur Auflösung des Feudalismus im Westen und zur Zweiten Leibeigenschaft im Osten. Nachdem sich Ost- und Westeuropa vom 14. Jahrhundert an unterschiedlich entwickelten, hatten die neuen wirtschaftlichen Gelegenheiten des 17., 18. und 19. Jahrhunderts ganz unterschiedliche Folgen für diese separierten Teile Europas. Da die Kontrolle durch die Krone im Jahr 1600 in England schwächer war als in Frankreich und Spanien, eröffnete der Atlantikhandel im Ersteren den Weg zur Schaffung neuer, pluralistischerer Institutionen, nicht jedoch in Frankreich und Spanien.
Der Unwägbarkeitspfad der Geschichte
Die Folgen von Umbruchphasen werden von der Vorgeschichte bestimmt, denn bestehende wirtschaftliche und politische Institutionen gestalten die Machtverhältnisse, indem sie politische Entwicklungsrichtungen eröffnen und verhindern. Dennoch ist der Ausgang nicht historisch vorherbestimmt, sondern davon abhängig, welche der widerstreitenden Kräfte sich durchsetzt, welche Gruppen handlungsfähige Koalitionen bilden und welche Anführer in der Lage sind, die Ereignisse zu ihrem Vorteil zu beeinflussen.
Dies lässt sich am Beispiel der Entstehungsgeschichte der inklusiven politischen Institutionen in England illustrieren. Der Sieg der Gruppen, die in der Glorreichen Revolution für die Begrenzung der königlichen Macht und für pluralistischere Institutionen kämpften, stand keineswegs von vornherein fest, und auch der gesamte Weg bis hin zu dieser politischen Revolution war nicht vorgezeichnet. Der Sieg der erfolgreichen Gruppe war untrennbar mit der durch den Atlantikhandel ausgelösten Umbruchphase verknüpft, und ihr Ausgang ließ die kaufmännischen Gegner der Krone reicher und kühner werden. Dabei war es ein Jahrhundert zuvor alles andere als offensichtlich gewesen, dass England die Meere beherrschen, viele Bereiche der Karibik und Nordamerikas kolonisieren und sich einen so großen Teil vom lukrativen Handel mit Amerika und dem Orient sichern würde. Weder Elisabeth I. noch andere Tudor-Monarchen vor ihr hatten eine schlagkräftige, einheitliche Flotte bauen lassen. Die englische Navy war damals noch auf Freibeuter und unabhängige Handelsschiffe angewiesen und konnte sich nicht mit der spanischen Flotte vergleichen. Aber der lukrative Atlantikhandel zog zahlreiche Freibeuter an, die das spanische Meeresmonopol attackierten.
Daraufhin beschlossen die Spanier 1588, der Bedrohung ihres Monopols durch englische Kaperschiffe sowie der englischen Einmischung in den Kampf der Spanischen Niederlande um Unabhängigkeit ein
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