Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
zufällige Verfügbarkeit vieler leicht zu domestizierender Pflanzen- und Tierarten ausgelöst worden sei. Dadurch seien Ackerbau und Viehzucht attraktiv geworden, und das habe den Übergang zu einem sesshaften Leben bewirkt. Nachdem die Gesellschaften ihre landwirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen hätten, seien politische Hierarchien, Religionen und erheblich komplexere Verwaltungsorgane entstanden. Obwohl diese traditionelle Erklärung weithin akzeptiert wird, sprechen die Funde zu den Natufiern dafür, dass das Gegenteil der Fall ist. Institutionelle Veränderungen vollzogen sich in den Gesellschaften schon recht lange vor ihrer Entwicklung des Ackerbaus und waren wahrscheinlich die Ursache sowohl für den Wechsel zur Sesshaftigkeit, die den institutionellen Wandel verstärkte, als auch der späteren Neolithischen Revolution. Dieses Muster wird nicht nur durch die Indizien von den Hilly Flanks, der am intensivsten erforschten Gegend, sondern auch durch den Großteil der Funde aus Nord- und Südamerika, dem subsaharischen Afrika und aus Ostasien nahegelegt.
Unzweifelhaft bewirkte die Entwicklung der Landwirtschaft eine höhere Produktivität und einen beträchtlichen Bevölkerungszuwachs. Beispielsweise zeigen Fundstätten wie Jericho und Abu Hureyra, dass das frühe Bauerndorf viel größer war als die vorherige, noch nicht landwirtschaftlich tätige Siedlung. Im Allgemeinen wuchsen Dörfer um mindestens das Doppelte und manchmal sogar um das Sechsfache, nachdem sich der Wechsel vollzogen hatte. Auch etliche der Folgen, die der traditionellen Meinung gemäß auf den Übergang zurückgeführt werden müssen, sind unbestreitbar eingetreten. Es kam zu einer stärkeren beruflichen Spezialisierung und einer rascheren Weiterentwicklung einzelner Verfahren sowie vermutlich zur Entwicklung komplexerer und weniger egalitärer politischer Institutionen. Aber ob all das an einem bestimmten Ort geschah, hatte nichts mit der Verfügbarkeit von Pflanzen- und Tierarten zu tun. Vielmehr war es darauf zurückzuführen, dass die Gesellschaft die institutionellen, sozialen und politischen Neuerungen verinnerlicht hatte, die eine sesshafte Lebensweise und dann den Ackerbau ermöglichten.
Obwohl der Lange Sommer und das Vorhandensein geeigneter Tier- und Pflanzenarten eine solche Entwicklung zuließen, hatten sie keinen entscheidenden Einfluss darauf, wo und wann genau sich dieser Prozess nach der Klimaerwärmung entfaltete. Das hing mit der Wechselwirkung zwischen Umbruchphase, Langem Sommer und kleinen, doch wichtigen institutionellen Unterschieden zusammen. Während sich das Klima erwärmte, bildeten manche Gesellschaften, etwa die der Natufier, wenn auch noch rudimentäre Ansätze zu zentralisierten Institutionen und einer Hierarchie aus. Wie die Bushong unter Shyaam organisierten sich diese Gesellschaften um, damit sie die besseren Chancen, welche die Fülle von wilden Pflanzen und Tieren bot, optimal nutzen konnten, und gewiss waren die Herrschenden die Hauptnutznießer der neuen Möglichkeiten und des politischen Zentralisierungsprozesses. In anderen Gegenden mit fast gleichen Institutionen ließ man nicht zu, dass die politischen Eliten Vorteile aus dieser Phase zogen, wodurch die politische Zentralisierung und die Entstehung sesshafter, Ackerbau treibender und komplexerer Gesellschaften länger auf sich warten ließen. Dadurch wurde einer späteren Divergenz genau des Typs, den wir bereits untersucht haben, der Weg geebnet. Die Unterschiede griffen dann auf einige andere Gebiete über. Zum Beispiel verbreitete sich der Ackerbau seit ungefähr 6500 v.Chr. vom Nahen Osten nach Europa (hauptsächlich infolge der Migration von Bauern), wo dann eine eigene Entwicklung von Institutionen stattfand, die sich von denen in anderen Teilen der Welt unterschieden.
Die institutionellen Neuerungen der Natufier hinterließen, obwohl sie höchstwahrscheinlich die Neolithische Revolution begründeten, kein klares Vermächtnis und führten nicht zum langfristigen Wohlstand ihrer Heimatgebiete in den heutigen Ländern Israel, Palästina und Syrien. Die beiden Letzteren sind relativ arm, und der Wohlstand Israels wurde überwiegend importiert, als sich dort nach dem Zweiten Weltkrieg Juden mit hohem Bildungsgrad und mühelosem Zugang zu fortgeschrittenen Technologien ansiedelten. Aus dem gleichen Grund wie später in der Sowjetunion war auch das frühe Wachstum der Natufier nicht nachhaltig. Obwohl äußerst zukunftsweisend, vollzog es
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