Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
Nachteile. Die Konfliktbewältigung fiel sesshaften Gruppen wahrscheinlich viel schwerer, da Meinungsverschiedenheiten nicht mehr einfach dadurch beigelegt werden konnten, dass ein Stamm oder eine Gruppe fortzog. Sobald die Menschen dauerhafte Gebäude errichtet hatten und mehr Eigentum besaßen, als sie tragen konnten, waren sie weit weniger bereit, sich zu entfernen. Man benötigte also wirkungsvollere Methoden zur Bewältigung von Konflikten und einen besser durchdachten Eigentumsschutz. Man musste Entscheidungen darüber treffen, wer Zugang zu welchem Grundstück in der Nähe des Dorfes hatte oder wer Obst von welchen Bäumen pflücken und in welchem Teil des Baches fischen durfte. Es galt, hierfür Regeln aufzustellen und Institutionen für ihre Durchsetzung zu entwickeln.
Folglich wirkt es plausibel, dass Jäger und Sammler gezwungen werden mussten, sich niederzulassen. Vorher dürfte sich eine institutionelle Neuerung ergeben haben, durch die sich die Macht in den Händen einer Gruppe, die zur politischen Elite wurde, konzentrierte. Sie muss den Eigentumsrechten Nachdruck verschafft, die Ordnung aufrechterhalten und außerdem von ihrem Status profitiert haben, indem sie der übrigen Gesellschaft Ressourcen entzog. Wahrscheinlich kam es durch eine politische Revolution – ähnlich der von König Shyaam initiierten, wenn auch in kleinerem Maßstab – zu dem Durchbruch, der zu einem sesshaften Leben führte.
Das archäologische Material lässt in der Tat vermuten, dass die Natufier schon lange, bevor sie Bauern wurden, eine komplexe, durch Hierarchie, Ordnung und Ungleichheit – also durch das, was wir als die Anfänge extraktiver Institutionen bezeichnen –, typisierte Gesellschaft aufbauten. Ein überzeugendes Indiz für Hierarchie und Ungleichheit ist in natufischen Gräbern zu finden. Manche Personen wurden mit großen Mengen Obsidian und Zahnmuscheln beerdigt, die von der Mittelmeerküste unweit des Berges Karmel stammten. Weitere Schmuckstücke sind Halsketten, Strumpf- und Armbänder, die nicht nur aus Muscheln, sondern auch aus Eckzähnen und Rehknochen hergestellt wurden. In anderen Gräbern entdeckte man keinen dieser Gegenstände. Mit Muscheln und Obsidian wurde Handel getrieben, was vermutlich eine Quelle der Macht und der Ungleichheit bildete.
Weitere Hinweise auf wirtschaftliche und politische Unterschiede fand man an der natufischen Stätte Ain Mallaha, ein wenig nördlich des Sees Genezareth. In einer Gruppe von etwa fünfzig Rundhütten, die offensichtlich zur Lagerung benutzt wurden, steht ein großes, stark verputztes Gebäude in der Nähe eines freien Dorfplatzes. Das Gebäude war höchstwahrscheinlich der Wohnsitz eines Häuptlings. Einige der Grabstätten in Ain Mallaha sind viel kunstvoller als andere, und man hat Indizien für einen Schädel- oder Ahnenkult entdeckt. Solche Kulte sind in natufischen Siedlungsstätten verbreitet, vor allem in Jericho. Die dort gefundenen großen Mengen von Gegenständen lassen vermuten, dass jene Gesellschaften bereits komplexe Institutionen besaßen, welche die Vererbung des Elitestatus festlegten. Die Gesellschaften trieben Handel mit fernen Orten und besaßen frühe Formen von Religion und politischen Hierarchien.
Das Entstehen politischer Eliten dürfte den Übergang zuerst zum sesshaften Leben und dann zur Landwirtschaft bewirkt haben. Wie die natufischen Stätten zeigen, führte Sesshaftigkeit jedoch nicht unbedingt zu Ackerbau und Viehzucht. Menschen konnten sich an einem Ort niederlassen und sich dennoch weiterhin als Jäger und Sammler betätigen. Schließlich wuchsen durch den Langen Sommer mehr wilde Pflanzen, und das Jagen und Sammeln dürfte leichter gewesen sein. Vielleicht waren die meisten Menschen recht zufrieden mit einem Subsistenzdasein, das keine übermäßige Anstrengung verlangte. Auch technische Neuerungen führen nicht unbedingt zu einer erhöhten Agrarproduktion. So ist bekannt, dass eine bedeutende Neuerung, die Einführung der Stahlaxt bei einer Gruppe australischer Ureinwohner namens Yir Yoront, keine intensivere Produktion, sondern nur längere Schlafperioden bewirkte, da die Subsistenzerfordernisse nun leichter gedeckt werden konnten und kaum ein Anreiz bestand, nach mehr zu streben.
Die traditionelle, auf die geographischen Verhältnisse gestützte Erklärung für die Neolithische Revolution – der Kern von Jared Diamonds Theorie, die wir im zweiten Kapitel behandelt haben – besteht darin, dass sie durch die
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