Warum tötest du, Zaid?
proiranische Regierung«, fügt er hinzu. »Und die Mehrheit der Schiiten im Irak will das auch nicht.« 24
Doch dann muss Abu Bassim zum ersten Mal an diesem Abend lachen. Ich wisse doch, dass die Amerikaner nach der Invasion fünfundfünfzig Spielkarten mit den Fotos der meistgesuchten und mächtigsten Männer aus Saddam Husseins politischem und militärischem Führungsapparat
veröffentlicht hätten. Sechsunddreißig dieser fünfundfünfzig Männer, also rund zwei Drittel, seien Schiiten gewesen. Das sei doch ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die Aufteilung des Irak in angeblich seit Ewigkeiten miteinander verfeindete Konfessionen blühender Unsinn sei – erfunden, um den Irak, den man von außen nicht besiegen könne, von innen zu zerbrechen.
Ich frage Abu Bassim, was nach einem Abzug der Amerikaner passieren werde. Abu Bassim antwortet kurz und trocken: Wenn der Widerstand und die Bevölkerung sich auf die Bekämpfung des Terrorismus und die Vertreibung der Milizen konzentrieren könnten, sei der Irak dieses Problem schnell wieder los. Ramadi sei der Beweis dafür.
Die Amerikaner brauche man dazu nicht. Er könne das arrogante Argument des Westens, die Amerikaner müssten im Irak bleiben, um einen Bürgerkrieg zu verhindern, nicht verstehen. Das sei das Gleiche, wie wenn ein kranker Arzt, der Pest und Cholera in ein Land eingeschleppt hat, auf die Aufforderung, das Land zu verlassen, antworte, er müsse leider bleiben, um Pest und Cholera zu bekämpfen.
Wenn die Amerikaner weg seien, verliere Al-Qaida ihren wichtigsten Gegner, ihr wichtigstes Argument. Die wenigen verbliebenen irakischen Mitglieder würden ihre ausländischen Anführer dann sehr schnell verlassen. Ähnliches gelte für die Milizen der schiitischen und sunnitischen Politiker. Die meisten seien ohnehin nur Mitläufer. Mit dem Rest werde man schnell fertig. Im Irak gebe es keinen Hindukusch, in dem sich Terroristen verstecken könnten.
Außerdem werde die Stärke von Al-Qaida von der amerikanischen Regierung bewusst übertrieben. Es habe nie mehr als 3000 ausländische Al-Qaida-Kämpfer im Irak gegeben. Jetzt seien es vielleicht noch 2000 oder sogar noch weniger. Aber Bush brauche Al-Qaida dringend, um im Irak bleiben zu können. Al-Qaida sei der letzte ihm verbliebene
Kriegsgrund. Der aber werde sich nach dem Abzug der Amerikaner in wenigen Wochen in Luft auflösen.
»Das Chaos ist mit den Amerikanern gekommen, und es wird mit ihnen gehen. Ein baldiger Abzug ist nur für die USA schlecht. Für den Irak ist er gut.« 25
Außerdem werde der amerikanische Abzug mindestens sechs Monate dauern, erklärt Abu Bassim schmunzelnd. »In dieser Zeit bauen wir unsere Armee und unsere Polizei wieder auf. Sie werden multikonfessionell und multiethnisch sein. Und sie werden vor allem erfolgreich sein.«
Ein Großteil der Militär- und Verwaltungselite sei wegen der Amerikaner ins Ausland geflohen. Die meisten von ihnen würden beim Abzug der US-Truppen zurückkommen. Der Grund, warum es den USA nicht gelinge, eine schlagkräftige Armee und eine effiziente Polizei aufzustellen, liege doch auf der Hand. »Die wirklich guten Soldaten und Polizisten weigern sich, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten. Die sind im Ausland oder im Widerstand.«
»Und wenn es doch zu einem Bürgerkrieg kommt?«, frage ich noch einmal. Abu Bassim schaut mich sehr ernst an: »Schlimmer als jetzt kann das Chaos im Irak gar nicht werden. Aber selbst wenn – dann ist es Sache der Iraker, das zu regeln. Wir sind eine Stammesgesellschaft. Die irakischen Stämme haben sich in ihrer langen Geschichte immer wieder zusammengerauft. Sie werden das auch in Zukunft tun.«
Es ist bereits Mitternacht vorbei. Ich nehme eine der bereitliegenden Schaumstoffmatratzen und suche mir im Garten des Hauses von Abu Bassim eine ruhige Ecke. Unter einem kleinen Orangenbaum in dem von Palmen umrahmten Grundstück finde ich ein fast romantisches Plätzchen. Im Irak wird man in diesen Zeiten bei der Wahl seiner Schlafstätte schnell bescheiden.
Ein letzter Blick in den Garten zeigt mir, dass sich die anderen Männer noch nicht zur Ruhe gelegt haben. Sie sitzen in einer Ecke des Gartens und spielen wieder Domino. Einige schauen auch nur neugierig zu. Wer von ihnen der Anführer des Widerstands ist, weiß ich noch immer nicht.
Auch Abdullah, der fünfjährige Enkel von Abu Bassim, darf heute aufbleiben. Gespannt verfolgt er das Dominospiel. Er findet es bestimmt viel interessanter als unsere
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