Warum tötest du, Zaid?
Schwestern und seine Eltern weinend festhielten und wie er mit den Fäusten gegen die Wand trommelte, die ihn von seinem sterbenden Bruder trennte.
Die Humvees sind nur noch wenige Meter von der Stelle entfernt, an der die Explosion stattfinden soll. Zaid
zittert am ganzen Leib. Da er wegen Haroun und Karim Tränen in den Augen hat, kann er die Humvees nur noch verschwommen wahrnehmen. »Ich muss jetzt abdrücken«, denkt er, schließt die Augen, aber er kann es nicht. »Drück endlich«, sagt er sich, »drück!« Tausend Bilder rasen durch seinen Kopf.
Dann drückt er ab. Er sieht nicht, wie die zwei ersten Humvees in die Luft geschleudert werden, eine mächtige schwarze Rauchwolke über der 20. Straße aufsteigt und hochkatapultierte Fahrzeugteile wie in Zeitlupe zu Boden fallen. Aber er hört den gewaltigen, dumpfen Explosionslärm.
Zaid rennt los – auf einem Fluchtweg, den er sich vorher genau ausgesucht hat, weit weg von den amerikanischen und irakischen Kontrollposten. Er rennt schneller, als er jemals gerannt ist, bis er aus dem Zentrum von Ramadi raus ist. Dann versucht er, tief durchzuatmen und normal zu gehen.
Zu Hause angekommen, geht er ganz leise in das Schlafzimmer, das er früher mit seinen beiden Brüdern geteilt hat und das ihm jetzt alleine gehört. Seine Eltern sind in dem kleinen Lebensmittelgeschäft nebenan.
Zaid wirft sich auf seine Matratze, vergräbt sein Gesicht in einem Kissen und versucht, einen klaren Kopf zu bekommen, seine Gedanken zu ordnen. Aber er schafft es nicht. Immer wieder gehen ihm die Bilder junger amerikanischer Soldaten durch den Kopf, die Explosion, die er nur gehört hat, und die Bilder von Haroun und Karim.
Als ihn seine Schwestern gegen zehn Uhr leise am Hemd zupfen, gibt er mit der Hand unwirsch zu verstehen, dass er nicht gestört werden will. So bleibt er bis zum Nachmittag liegen. Als ihn seine Mutter fragt, ob ihm etwas fehle, schüttelt er den Kopf und vergräbt sein Gesicht wieder im Kissen.
Erst am Abend steht er auf, um sich mit den übrigen Mitgliedern seiner Gruppe zu treffen. Alle sind da. Raschid, der wie abgesprochen nach der Explosion auf einem geschützten Beobachtungsposten verblieben ist, erzählt, dass zwei Humvees völlig zerstört worden seien. Mindestens drei amerikanische Soldaten seien ums Leben gekommen, mehrere seien verletzt worden.
Nach der Explosion seien weitere Humvees und mehrere Ambulanzen an den Ort des Anschlags gerast. Amerikanische Soldaten hätten die umliegenden Häuser gestürmt und die Gegend militärisch gesichert. Sie hätten wie üblich einige verschlafene junge Iraker abgeführt, die mit dem Anschlag nichts zu tun gehabt hätten. Dann seien Spezialfahrzeuge angerückt, hätten die zerstörten Humvees abtransportiert und die Explosionsstelle so gut wie möglich gereinigt, um die Spuren des Anschlags zu beseitigen.
Zaid hört sich den Bericht schweigend an. Seine Freunde wollen ihn zu seinem ersten militärischen Erfolg beglückwünschen, aber Zaid dreht sich um und geht. Er will mit niemandem sprechen.
Er geht hinunter zum Ufer des Euphrat, zu jener leicht erhöhten Stelle, von der aus Karim immer ins Wasser gesprungen ist. Stundenlang bleibt er hier sitzen. In seinem Kopf ist eine unglaubliche Leere. Jetzt ist auch er unentrinnbar Teil dieses Kriegs, den er so hasst. Er weiß, dass es keinen Weg mehr zurück gibt. Er weiß es spätestens, seit Karim vor seinen Augen verblutete.
Schweigend sitzen Zaid, Abu Saeed und ich uns gegenüber. Ich möchte tausend Fragen stellen, aber ich sehe die unendliche Trauer und Bitterkeit in Zaids Augen. Trauer und Bitterkeit über so vieles.
Ich weiß, dass ich Zaid noch eine Frage stellen muss, für mich und für die Menschen, die seine Geschichte lesen
werden. Ich frage Zaid, ob er nicht wenigstens manchmal an die Eltern der jungen, von ihm getöteten amerikanischen Soldaten denke, die vielleicht wie ihre Söhne gegen diesen Krieg waren.
Zaid schaut mich lange an und fragt zurück: »Haben diese Menschen auch nur einen Augenblick an meine Familie gedacht? Denken die amerikanischen Familien, denkt irgendjemand im Westen an die unzähligen irakischen Familien, die ihre Kinder, ihre Geschwister, ihre Eltern verloren haben? Warum soll ich an die Familien der Soldaten denken, die meine Brüder ermordet haben? Das kann ich nicht, und ich will es auch nicht. Sie haben unser Land mit Panzern niedergewalzt, und sie haben das Leben meiner Familie ruiniert. Sie haben hier nichts zu
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