Warum tötest du, Zaid?
verloren für alle! Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass manche im Westen noch immer von einem »Sieg« im Irak träumen und reden. Und ich schäme mich für die Gleichgültigkeit, mit der wir im Westen der irakischen Tragödie zusehen. Ich habe mich selten so geschämt wie in diesen Tagen in Ramadi.
Ich knalle die Autotür zu und blicke noch einmal auf die kleine Wiese zurück, auf der Abu Saeeds Großfamilie, in Decken gehüllt, friedlich schläft. Musa fährt los, sehr konzentriert und so schnell es die holprige Straße erlaubt.
Rückfahrt nach Syrien
Wie immer fährt Musa Umwege, um an möglichst wenigen Kontrollpunkten halten zu müssen. Nach einer halben Stunde sind wir aus Al-Dschasira raus und auf der Autobahn nach Damaskus. Ich stelle fest, dass ich in der Eile des Aufbruchs Abu Saeeds Sandalen angezogen habe. Meine Turnschuhe habe ich, wie wahrscheinlich noch andere Dinge, in seinem Haus vergessen.
Ich will gerade anfangen, mir wegen meiner Schusseligkeit Vorwürfe zu machen, als Musa – kurz nach Ramadi – plötzlich abbremst. Wir werden von drei weiß-blauen Pritschenwagen der Polizei überholt. Auf jedem stehen ein bis zwei vermummte irakische Polizisten hinter einem Maschinengewehr.
Die Pick-ups fahren langsam an uns vorbei und setzen sich schließlich vor uns. Die vermummten Polizisten versuchen trotz der Dämmerung durch die verdunkelten Scheiben zu erkennen, wer in unserem Auto sitzt. Ihre Maschinengewehre haben sie auf uns gerichtet.
»So ein Mist«, denke ich. »Jetzt gibt es doch noch Ärger.« Ich hole trotzdem meine Kamera heraus, und der arme Abu Saeed bekommt erneut einen mittleren Tobsuchtsanfall. Vorsichtig lege ich die Kamera wieder neben den Sitz. Die nervöse Anspannung im Auto ist fast mit Händen zu greifen. Auch Musa, unser Fahrer, der fast nie etwas sagt, bittet mich, nicht zu fotografieren. Ich nicke zustimmend und klopfe ihm auf die Schulter. Ich will nicht, dass auch er die Nerven verliert.
Musa hat unseren Wagen inzwischen gestoppt, um die geforderten hundertfünfzig Meter Abstand zwischen uns und den Pick-ups einzuhalten. Aber die gespenstischen Polizeiautos mit den maskierten Maschinengewehrschützen bleiben nur etwa fünfzig Meter vor uns stehen.
Wir befinden uns vor einer großen Kreuzung und haben keine Ahnung, was los ist. Wir wissen nur, dass die schwer bewaffneten Polizisten der Pick-ups die gleichen Rechte haben wie amerikanische Soldaten. Sie dürfen sofort schießen, wenn sie sich aus irgendeinem Grund bedroht fühlen.
Auf der etwa zweihundert Meter vor uns liegenden Kreuzung tauchen links und rechts vier zusätzliche Pick-ups auf. Auch auf ihnen stehen finstere Gestalten hinter einem Maschinengewehr. Auf der Gegenfahrbahn, jenseits der Kreuzung, beziehen zwei weitere schwer bewaffnete Pritschenwagen Position. Inzwischen sperren neun Pick-ups die Straße.
Der fünfzig Meter vor uns stehende Pick-up fährt plötzlich im Rückwärtsgang auf uns zu – das Maschinengewehr immer auf uns gerichtet. Mir gerinnt das Blut in den Adern. Wenige Meter vor uns hält der Polizeiwagen an. Einer der vermummten Polizisten brüllt – während er eine schroffe Handbewegung macht – etwas in unsere Richtung.
Abu Saeed, der mit fahlem Gesicht vor mir sitzt, ruft Musa erregt zu: »Rückwärtsgang rein! Sicherheitsabstand einhalten!« So schnell es geht, fahren wir im Rückwärtsgang etwa zweihundert Meter zurück. Hier wird nicht um Meter gefeilscht, sicher ist sicher. »Wenn die vermummten Gestalten vor uns ihr Maschinengewehr nur einmal in eine andere Richtung halten würden«, denke ich mir.
Die Minuten vergehen. Plötzlich taucht in der Ferne auf der Gegenfahrbahn ein Militärkonvoi auf. Der also musste mit neun schwer bewaffneten Polizeiwagen gesichert werden! Wir atmen tief durch.
Abu Saeed redet Musa wütend ins Gewissen, grundsätzlich stehen zu bleiben, wenn er von bewaffneten Pick-ups überholt werde. Vor allem nachdem gestern auf einer Brücke genau über dieser Autobahn eine amerikanische Patrouille in die Luft geflogen sei. Mir zischt er genauso
zornig zu, ich solle endlich die verdammte Kamera wegpacken. Alle im Auto sind bleich – nicht nur wegen der kurzen Nacht.
Erst eine halbe Stunde später, nachdem der Militär-und Versorgungskonvoi vorbei ist, können wir weiterfahren. Musa gibt erleichtert Vollgas und braust los. Die Klimaanlage hat er abgestellt, da sie – wie er sagt – bei der hohen Geschwindigkeit und der schlechten Qualität des
Weitere Kostenlose Bücher