Warum tötest du, Zaid?
nahe gekommen zu sein. Näher jedenfalls als Politiker, die sich für zwei Stunden in militärisch geräumte und gesicherte Besucherzonen einfliegen lassen. Habe ich alle Wahrheiten erfahren? Ich weiß es nicht. Aber ich habe alles versucht, was in meiner Macht stand.
Mir geht es in meinem Buch auch nicht nur um den Irak. Der Irakkrieg ist lediglich ein Kapitel der seit Jahrhunderten nicht endenden Aggressionspolitik Europas und der USA gegenüber der muslimischen Welt. Ich werde auf diese unendliche Geschichte in meinem Nachwort näher eingehen.
Um das Bildmaterial für dieses Buch zu finden, musste ich mühsame Recherchen unternehmen. Ich habe ganze Wochenenden an meinem Computer gesessen und die Archive der großen Fotoagenturen durchsucht. Vor allem bei den Bildern zum Thema Kolonialismus kam ich nicht weiter. Der Westen hat einen Mantel des Schweigens über dieses dunkle Kapitel seiner Außenpolitik gelegt.
Ich musste daher an Ostern 2007 noch einmal nach Algerien fliegen, um in den Kellergewölben von Museen in staubigen alten Zeitschriften und Büchern zu stöbern. Ich habe schreckliche Bilder kolonialistischen Terrors gefunden. Aber ich wurde auch mit dem Terrorismus unserer Tage konfrontiert: In der Woche meines Aufenthalts verübte Al-Qaida in Algier, nur wenige hundert Meter von meinem Hotel entfernt, einen brutalen Selbstmordanschlag, bei dem nach offiziellen Angaben 24 Menschen getötet und 222 teils schwer verletzt wurden. 4
Einige Passagen dieses Buches habe ich in Ramadi, andere in Jerusalem und New York geschrieben. Ich wollte beim Schreiben den Genius Loci auf mich wirken lassen.
Zusammengefasst und weitgehend abgeschlossen habe ich den ersten Entwurf in Skoura, einer kleinen Oase im Süden Marokkos. Nirgendwo ist man der Wahrheit und Gott so nah wie in der Wüste.
Außerdem habe ich an vielen Wochenenden in München – nach meiner samstäglichen Lieblingsbeschäftigung, dem Fußballspielen im Englischen Garten – überprüft, ob ich das, was ich im Irak, in Jerusalem, in New York und in Skoura geschrieben hatte, westlichen Lesern zumuten kann. Ich habe beschlossen, es zu versuchen.
Mit dem Honorar dieses Buches möchte ich schwer verletzten irakischen Flüchtlingskindern helfen. Und ich werde ein Projekt finanzieren, das durch gemeinsame Ausbildung von 15-jährigen Juden, Muslimen und Christen an Computern der Versöhnung von Israelis und Palästinensern dient. Diese Versöhnung ist der Schlüssel zur Aussöhnung von Juden, Muslimen und Christen weltweit. Ich glaube ganz fest, dass sie kommen wird. So fest, wie ich als einer der wenigen Abgeordneten im Deutschen Bundestag in den siebziger und achtziger Jahren immer an die deutsche Wiedervereinigung geglaubt habe, obwohl das damals auch nicht dem Zeitgeist entsprach. Die Aussöhnung zwischen der muslimischen und der nichtmuslimischen Welt wird kommen, weil sie kommen muss. Mit diesem Buch möchte ich einen kleinen Beitrag dazu leisten. Für meine und für Ihre Kinder. Entweder wir überleben gemeinsam, oder wir gehen gemeinsam unter.
»Wa hona ya sadati awdahna alkalam – mit diesen Worten schließe ich meine Erzählung!«, ruft Abu Shadi, schlägt mit seinem Schwert auf den Schemel und reißt mich aus meinen Träumen. Die Geschichte von Antar dem Sklaven ist zu Ende, die Geschichte von Zaid, dem jungen Iraker, beginnt.
Warum tötest du, Zaid?
Koran 5,32: »Wenn einer einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen oder Unheil im Land angerichtet hat, so ist es, als habe er die ganze Menschheit getötet. Und wenn er ein Leben rettet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit gerettet. «
Zaids Angst
Ramadi, August 2007. »Da kann ich ja gleich nach Guantánamo gehen und meine Familie in Abu Ghraib abliefern! Ich werde Ihnen meine Geschichte nicht erzählen.«
Vor mir, in der milden Abendsonne von Ramadi sitzt Zaid, ein einundzwanzigjähriger Kämpfer des irakischen Widerstands. Zaid ist ein hochgewachsener, gut aussehender Junge mit feinem Oberlippenbart und dichten schwarzen Haaren. Seine leuchtend wachen Augen sind ständig in Bewegung.
Seinem jungenhaften Charme würden wahrscheinlich nicht nur viele irakische Mädchen, sondern auch deren Mütter erliegen. Trotzdem hat Zaid wie die meisten irakischen jungen Männer keine Freundin. So etwas ging vielleicht zu Zeiten Saddam Husseins. Seit dessen Sturz jedoch haben sich die gesellschaftlichen Regeln im Irak verschärft. Aus dem einst säkularen Land ist ein Staat
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