Warum unsere Kinder Tyrannen werden
wesentlichen Verbesserungen sie sich in näherer Zukunft für ihr Leben vorstellen können,
wären kaum Antworten zu erwarten, die auf existentielle Grundbedürfnisse oder auf eine höhere Entwicklungsstufe der Gesellschaft eingehen. Tendenziell dürften die Antworten auf individuelle Dinge wie »mehr Geld«, »mehr Freizeit«, »mehr Selbstverwirklichung« hinauslaufen.
Statt aktiv und intuitiv zu handeln, scheint die moderne Gesellschaft in eine Art Angststarre geraten zu sein. Täglich werden wir in den Medien von Negativmeldungen aller Art überflutet. Der alte journalistische Grundsatz »only bad news are good news« hat die ihm immer auch innewohnende Ironie in seiner Aussage komplett verloren, er ist heute bitterer Ernst geworden. In den Redaktionen scheint es eine stillschweigende Ãbereinkunft zu geben, dass es das Wichtigste sei, immer neue Katastrophen zu präsentieren, immer aufs Neue zu beweisen, wie schlecht die Welt geworden sei.
Das Negative ist in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, das Krankhafte erscheint als der Normalzustand, mit dem wir heute wie selbstverständlich umgehen können müssen. Diese Art der Nachrichtengestaltung hat jedoch ungeahnte Konsequenzen für das Alltagserleben des Menschen. Wer heute einen sonnigen und warmen Frühlingstag etwa Ende April erlebt, kann sich kaum mehr uneingeschränkt daran erfreuen, dass die Natur aus dem Winterschlaf erwacht, die Vögel sich wieder lautstark bemerkbar machen und die ersten Büsche und Bäume voller bunter Blüten sind, die für ein prächtiges Farbenmeer sorgen. Nein, einer der ersten Gedanken, gerade, wenn auf diesen Tag weitere ähnlich warme folgen, wird dem Klimawandel gelten. Schreckensbilder von Trockenheit und Dürre auf der einen sowie Wirbelstürmen und Sturmfluten auf der anderen Seite brechen, befeuert vom medialen Getöse rund ums Thema, ins Bewusstsein und schmälern bzw. tilgen die Sinnenfreude ob des Frühlingserwachens.
Natürlich soll damit nicht gesagt werden, dass wir die Anzeichen des Klimawandels missachten sollten. Fakt ist jedoch, dass der Mensch mit der überbordenden Informationsflut zu diesem und zu anderen Themen alleingelassen und überfordert wird. Ständig werden - oft kaum geprüft - neue scheinbar wichtige Erkenntnisse zum Thema publiziert und mit dem Prädikat »wissenschaftlich bewiesen« versehen, die sich nicht selten dann auch noch gegenseitig widersprechen. In den meisten Fällen ist das jedoch nicht wichtig. Die vermeintliche Nachricht selbst, zumal die schlechte, ist im Mittelpunkt des Interesses, sie ist reiner Selbstzweck und bedarf scheinbar keiner Hinterfragung.
Die Folge dieser Entwicklung ist, dass erwachsene Menschen die Fähigkeit verlieren, sich in ihrer Lebenswirklichkeit zurechtzufinden und ein klares Rollenverständnis gegenüber anderen Menschen zu entwickeln. Dieses Rollenverständnis müsste vor allem bei der Beziehung zu Kindern greifen. Da Kinder sich nicht von alleine zu Erwachsenen entwickeln, die allen Anforderungen eines normalen Alltags gewachsen sind, ist es die originäre Aufgabe von Eltern, GroÃeltern, Pädagogen in Kindergärten, Schulen und anderen Einrichtungen, ihnen diese Entwicklung zu ermöglichen.
Möglich ist das jedoch nur durch Erwachsene, die sich selbst in Abgrenzung zum Kind als prägend begreifen und dem Kind die Möglichkeit geben, Kind zu sein, also in der untergeordneten Rolle zu lernen und in der Adoleszenzphase langsam ans Erwachsenwerden herangeführt zu werden. Bis dahin müssen sie geführt, gespiegelt und somit auch geschützt werden. Dieser Schutzgedanke ist sehr wichtig. Wenn es uns gelingen sollte, wieder zu begreifen, dass ein führender, strukturierender Umgang mit Kindern keine mangelnde Achtung vor ihrer »Persönlichkeit« darstellt, sondern im
Gegenteil gerade dazu dient, ihnen im geschützten kindlichen Raum die Möglichkeit zu geben, diese Persönlichkeit überhaupt erst nach und nach zu entwickeln, sind wir schon ein ganzes Stück weiter als heute.
Wir frönen mit dem allseits akzeptierten partnerschaftlichen Denken und Handeln gegenüber Kindern, wie ich es auf der ersten Stufe der Beziehungsstörungen beschrieben habe, einem modernen Denken, das bei kleinen Kindern vollkommen fehl am Platze ist. Früher war es üblich, Kinder zunächst mit einer traditionellen Denkweise
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