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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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haben, da ihm dieses Ausblenden von Bedürfnissen selten abverlangt wurde, und schon gar nicht ohne ausführliche Begründung und Erläuterung.
    Gesellschaftliche Entwicklung bleibt jedoch nicht stehen. Zu dem beschriebenen Phänomen des Wohlstands kommt seit etwa zehn Jahren die scheinbar grenzenlose Technikgläubigkeit, die vordergründig als Innovation erscheint, unter der Oberfläche jedoch tiefgreifende Ängste und Verunsicherungen bei den Menschen verursacht, da immer häufiger das Gefühl entsteht, nicht mehr selbst Herr der ganzen neuen Technik zu sein, sondern, im Gegenteil, von dieser dominiert zu werden. Nicht umsonst hat unsere Zeit den Begriff der Info-Elite hervorgebracht, jener kleinen Gruppe also, die überhaupt
noch in der Lage ist, mit den technischen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung gezielt umzugehen und die gewonnenen Informationen sinnvoll zu verarbeiten.
    Für die große Mehrheit der Menschen jedoch gleicht die moderne Situation einem Hamsterrad. Sie mühen sich ab, wollen gerne Schritt halten mit dem Fortschritt, haben Angst, als rückständig und unmodern zu gelten. Da die Entwicklung selbst aber immer schneller ist, als es der Lerneffekt des Menschen überhaupt sein kann, kommt dieser letztlich keinen Schritt voran, dreht sich also gleich dem Hamster im Kreis, obwohl er ständig in Bewegung ist. Mit dem Blick des Psychiaters gesehen führt diese ständige Überforderung den erwachsenen Menschen in eine Depression, deren Erscheinungsbild sich jedoch von dem unterscheidet, was klassischerweise darunter verstanden wird. Denn zieht sich der depressive Mensch normalerweise eher zurück, versteckt sich und will mit der Außenwelt am liebsten nichts zu tun haben, so ist der Effekt hier genau umgekehrt, so dass ich in diesem Fall von einer »agitierten Depression« spreche. Agitiert deshalb, weil der in der Depression befindliche Mensch mit einer immer größeren Aktivität, einem ständigen Agieren also, reagiert.
    Doch, wer ständig agiert, muss auch ständig geben; aktiv zu sein, bedeutet, aus sich selbst herauszugehen und etwas von sich selbst preiszugeben. Da bleibt dann im Verhältnis zu anderen Erwachsenen kaum noch Platz dafür, etwas zurückzubekommen, das sich auf der emotionalen Ebene abspielt. Der Austausch von Bestätigung und Zuwendung findet folglich innerhalb der Gesellschaft nur noch stark reduziert statt und ist nicht mehr in der Lage, die eigentlichen Bedürfnisse in diesem Bereich zu befriedigen.
    In dieser Situation kommt Kindern dann eine grundsätzliche neue Rolle zu. Sie werden vom Erwachsenen funktionalisiert,
bekommen den Status des Zuwendungslieferanten zugewiesen, so dass sich der Erwachsene in die Lage versetzt sieht, über das Medium des Kindes sein Zuwendungsdefizit zu kompensieren.
    Diese dem defizitären Erwachsenen bis dato unbewusste Kompensation stellt letztlich einen emotionalen Missbrauch des Kindes dar. Dieses hätte Anspruch darauf, abgegrenzte Eltern, Erzieher und Lehrer um sich zu haben, die dafür Sorge tragen, dass sich psychische Funktionen optimal entwickeln können, die für ein Leben in der Gesellschaft unabdingbar sind. Statt dessen wird das Kind ständig in der frühkindlichen Fantasie bestätigt, es sei alleine auf der Welt, könne alles um sich herum steuern, indem es seine Zuwendung selektiv vergibt, wenn der Erwachsene sich entsprechend verhalten hat.
    Stellen Sie sich eine Geburtstagsparty vor, auf der zehn Erwachsene zusammenstehen, um sich zu unterhalten. Plötzlich kommt ein Kind hinzu und sagt »Hallo«, fordert also Zuwendung ein. Fast immer wird es heute so sein, dass die Unterhaltung der Erwachsenen sofort unterbrochen wird und man sich dem Kind zuwendet, anstatt das begonnene Gespräch zunächst zu beenden, um dann dem Kind Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Das Kind macht also in diesem Moment die Erfahrung, zehn Erwachsene auf einmal steuern zu können. Gigantisch! Niemand jedoch bemerkt, dass dem Kind in dieser Situation, die nur aus Zuwendung und Aufmerksamkeit zu bestehen scheint, eine existentielle Erfahrung verweigert wird, nämlich die, sich ausrichten zu müssen, warten zu müssen, bis das eigene Begehren befriedigt werden kann. Würden die zehn Erwachsenen sich entsprechend verhalten, würde das heute fast immer als lieblos, abweisend oder schroff fehl gedeutet.

    Wenn diese Kinder im Laufe des

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