Was allein das Herz erkennt (German Edition)
um das Auge gespritzt, nachdem sie den Bereich vorher örtlich betäubt hatte. Dann hatte sie für kurze Zeit Prednison in hoher Dosierung verordnet. Nach einer Woche wollte sie die Entzündung erneut überprüfen und entscheiden, wie es weitergehen sollte.
Ein chirurgischer Eingriff war höchstwahrscheinlich angeraten. Teddy beschrieb eine Methode namens ›Skleraeindellung‹, bei der Silikonmaterial auf das Weiße des Auges hinter den Lidern aufgenäht wurde. Eine andere Möglichkeit waren intraokulare Gasinjektionen: Ein mikroskopisch kleiner aufblasbarer Ballon anstelle der aufgenähten Silikonplombe. Verlief der Eingriff erfolgreich, würde der Ballon entfernt werden, sobald sich die Netzhaut wieder anheftete.
May und Martin hatten wie betäubt zugehört. Martins Hand war eiskalt und seiner Miene nach zu urteilen war er völlig abwesend. May wusste, dass sie sich eigentlich Notizen machen sollte, als Erinnerungshilfe. Der Taschenkalender, den sie für die Hochzeitsplanungen benutzte, befand sich in ihrer Strohtasche, sie musste ihn nur herholen und mitschreiben.
»Die Erfolgsquote für eine anatomische Wiederanlegung der Netzhaut ist ziemlich hoch«, sagte Teddy. »Aber was die Makula angeht, müssen wir abwarten.«
»Die Makula?«, fragte May benommen. Hatte Teddy nicht gerade erst erklärt, was das war? Wenn sie alles aufgeschrieben hätte, dann hätte sie Teddy unnötige Wiederholungen ersparen können.
»Der mittlere Bereich der Netzhaut, die Stelle des schärfsten Sehens. Wenn die Makula zu lange abgelöst war, kann die Prognose für ein gutes zentrales Sehen schlecht sein.«
»Welche Aussicht kann noch schlechter sein«, sagte Martin. »Vergessen Sie das. Sagen Sie mir, was hilft.«
»Bei derart komplizierten Ablösungen stehen uns mehrere Verfahren zur Verfügung, zum Beispiel die Vitrektomie, die Glaskörperentfernung. Ich muss mich ein wenig länger mit Ihrem Fall befassen, bevor ich sagen kann, was wirklich am besten ist. Lassen Sie uns sehen, was das Prednison bringt, und wenn Sie in einer Woche wiederkommen –«
»In einer Woche!«, explodierte Martin. »Ich habe keine Woche mehr. Das Training beginnt in Kürze, und bis dahin muss ich auf dem Weg der Besserung sein.«
»Martin, ich weiß, das ist ein Schock für Sie. Aber denken Sie daran, dass wir versuchen wollen, Ihr Augenlicht so weit wie möglich zu retten. Wir reden nicht über eine Wiederherstellung Ihrer Sehkraft, sondern vielmehr davon, eine weitere Verschlechterung aufzuhalten und –«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich nicht mehr Eishockey spielen werde? Nie mehr?«
»Ja.« Teddy hatte die Arme auf dem Schreibtisch verschränkt und sah ihn mitfühlend an. May zitterte; die Worte gingen ihr durch Mark und Bein, trafen sie bis in ihr Innerstes, und sie spürte, wie Martin seine Hand von ihrer losriss.
»Komm, May.« Er sprang auf. »Lass uns gehen.«
»Martin.« May versuchte, ihn zu beruhigen. »Bitte hör ihr zu.«
»Ich habe alles gehört, was ich hören muss. Wir gehen.«
»Die Behandlung sollte gleich beginnen«, sagte Teddy so ruhig, als säße Martin immer noch auf seinem Platz. »Wir dürfen keine Zeit verschwenden.«
»Genau«, erwiderte Martin barsch. »Deshalb gehe ich auch.« Er ergriff seine Jacke, ließ sie fallen, hob sie wieder auf. Dann eilte er zur Tür, schlug die falsche Richtung ein und prallte gegen ein Bücherregal. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging mit weit ausholenden Schritten auf den Ausgang zu. »May?«
»Setz dich, Martin!«, sagte sie flehentlich. »Bitte, wir reden schließlich über dein Augenlicht.«
»Meine Augen sind gut genug. Ich habe die Karte in LaSalle doch gelesen, oder? Kommst du endlich?«
»Hör zu, Martin«, erwiderte May heftig, mit Tränen in den Augen. »Bisher habe ich alles getan, was du wolltest. Ich habe mich deinem Zeitplan angepasst, nicht meinem. Wir können nicht mehr so tun als ob. Das lasse ich nicht zu. Dazu liebe ich dich zu sehr.«
»Ich warte am Auto auf dich«, sagte Martin kalt und knallte die Tür hinter sich zu.
May barg das Gesicht in ihren Händen und schluchzte. Teddy kam hinter dem Schreibtisch hervor und tätschelte ihren Rücken.
»Die Reaktion ist ganz normal für ihn. Genau, wie ich es von Martin erwartet habe. Eine solche Hiobsbotschaft ist nur schwer zu verkraften.«
»Eishockey ist sein Leben.«
»Für dieses Problem habe ich keine medizinische Lösung«, sagte Teddy. »Aber ich werde alles Menschenmögliche tun, um sein Augenlicht
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