Was allein das Herz erkennt (German Edition)
kompliziert. Teddy hielt eine der Aufnahmen hoch, die sie während der Untersuchung gemacht hatte, und Martin erkannte darauf nichts weiter als einen großen roten Klecks mit dunklen Flecken, durch den Zackenlinien verliefen.
»Ihr linkes Auge zeigt starke Vernarbungen. Als das Loch oder der Riss in der sensorischen Netzhaut entstand, trat Glaskörperflüssigkeit aus und löste die Netzhaut von dem ab, was wir als Netzhautpigmentepithel bezeichnen. Obwohl ich sehe, dass eine Kältetherapie durchgeführt wurde – die Laser-Schweißnaht, die Sie erwähnten –, bildete sich Narbengewebe, so dass die Naht aufplatzte.«
»Die Netzhaut hat sich wieder abgelöst?«, fragte Martin. Er überschlug bereits die Zeit, die er beim letzten Mal gebraucht hatte: einen Tag für die Operation, eine Woche, in der er den Verband tragen musste, zwei Monate, bevor er wieder spielen konnte.
»Ist das etwas Ernstes?«, fragte May.
»So schlimm war das damals auch wieder nicht.« Martin drückte ihre Hand und fühlte sich rundum erleichtert.
Aber Teddy lächelte nicht. »Die Makula – das ist der mittlere Teil der Netzhaut in Ihrem linken Auge – scheint seit einiger Zeit abgelöst zu sein. Sie hatten vermutlich eine Infektion, möglicherweise im gleichen Zeitraum, die einen Netzhautvenenverschluss verursachte. Die Sehfähigkeit Ihres linken Auges ist gleich null.«
Martin ließ die Worte einsinken. Er hörte, wie May leise aufschluchzte; ihre Hand war so schweißnass, dass sie ihm fast entglitt. Martin räusperte sich, versuchte sein Herzklopfen in den Griff zu bekommen. »Das wussten wir alles schon. Das konnte uns sogar der Optometriker in LaSalle sagen. Zum Glück sehe ich mit dem rechten Auge sehr gut. Ich sehe mit beiden Augen – nur nicht mit dem linken alleine.«
»Martin«, sagte Teddy. »Ihr rechtes Auge ist ebenfalls betroffen.«
»Aber auf dem rechten Auge hatte ich keine Verletzung.«
»Nie?«
»Keine schlimme. Nichts, was operiert werden musste.«
»Wurde das rechte Auge jemals mit Kortison behandelt, in hoher Dosierung?«
»Kortison? Ja. Beide Augen. Ich erinnere mich, dass ich damals Spritzen bekommen habe. Direkt neben die Augen … das war kein Zuckerschlecken.«
»Wegen einer Entzündung in den Knien und Knöcheln«, sagte May. »Und wegen seiner Hüften und Schultern …«
Martin hörte ihre Stimme und wünschte, er könnte mehr erkennen. Er versuchte zu schlucken, aber sein Mund war zu trocken.
»Was ich in Ihrem rechten Auge sehe …«, begann Teddy.
»In meinem guten Auge.«
»Ja, Ihrem guten Auge. Was ich dort sehe, ist eine so genannte Ophthalmia sympathica.«
»Sympathica …«, sagte May, und Martin wusste, dass sie sich an ein Wort klammerte, das sanft und freundlich anmutete.
»Unter Ophthalmia sympathica versteht man eine seltene, von einem Auge zum anderen übertragene Entzündung«, sagte Teddy. »Sie entsteht manchmal nach einer Penetrationsverletzung des Nachbarauges. Zu den Symptomen gehören hochgradige Lichtempfindlichkeit, Schwierigkeiten beim Fokussieren und deutliche Schwellung, und zwar nicht in dem Auge, das verletzt wurde, sondern in dem anderen Auge.«
»Aber das ist lange her!«, sagte Martin. »Fast vier Jahre, als Jorgensen mich in Vancouver am Auge erwischt …«
»Die Symptome können binnen einer Woche oder vierzehn Tagen auftreten, oder aber jahrelang im Verborgenen schlummern.«
»Aber wie das?« May hielt Martins Hand. »Das kann doch nicht wahr sein!«
»Wenn innere Bestandteile des verletzten Auges ungeschützt sind, wird ein immunologischer Prozess in Gang gesetzt, der die gleiche Gewebeart im entgegengesetzten Auge in Mitleidenschaft zieht. Das Nachbarauge.«
»Aber Kortison hilft, oder? Deshalb wollten Sie doch wissen, ob ich damit behandelt wurde?«
»Mit einer Kortikosteroidbehandlung erzielt man bisweilen ganz gute Erfolge. Aber bei längerer Behandlung ist der Körper nicht mehr in der Lage, dieses Nebennierenhormon selbst zu bilden, und wird in manchen Fällen resistent.«
»Und dann passiert was?«, fragte Martin.
Er spürte, dass Teddy ihn musterte, und hörte May leise schluchzen. Es klang so gequält und verängstigt, dass er sie am liebsten in die Arme genommen und ihr versichert hätte, alles würde wieder gut. Aber er war wie gelähmt, und das Einzige, was er zu sagen vermochte, war an Teddy gerichtet.
»Werde ich erblinden?«
»Ja«, erwiderte sie.
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D ie Diagnose war nicht ganz hoffnungslos. Teddy hatte Martin Kortison rund
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