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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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Geschichte. Wenn du schnell genug hier bist, wirst du als Erster die Geschichte von Helen Amerika und Mr. Nicht-mehr-grau zu hören bekommen. Sie sind sich eines Tages begegnet. Sie sind sich einfach so begegnet und haben sich ineinander verliebt.«
    Die Krankenschwester wusste nicht, dass die beiden ihrer Liebe auf der Erde abgeschworen hatten. Die Krankenschwester wusste auch nicht, dass Helen Amerika eine einsame Reise mit einem unumstößlichen Vorsatz unternommen hatte. Und die Krankenschwester wusste erst recht nicht, dass das Abbild von Mr. Nicht-mehr-grau, dem Segler, vor zwanzig Jahren draußen im völligen Nichts vor Helen Amerika gestanden hatte, in den Tiefen und der Finsternis des Weltraums zwischen den Sternen.

XI
    Das kleine Mädchen war erwachsen geworden, hatte geheiratet und besaß nun selbst ein kleines Mädchen. Ihre Mutter hatte sich nicht verändert, aber das Spieltier war sehr, sehr alt geworden. Es hatte all seine wundersamen Verwandlungskünste überlebt, und seit einigen Jahren war es erstarrt in der Rolle einer blondhaarigen, blauäugigen Mädchenpuppe. Aus einem sentimentalen Sinn für Ordnung heraus hatte die junge Mutter das Spieltier mit einem hellblauen Pullover und dazu passenden Hosen bekleidet. Das kleine Tier kroch langsam auf seinen kleinen menschlichen Händen über den Boden und benutzte seine Knie als Hinterbeine. Das nachgemachte menschliche Gesicht sah mit blinden Augen auf und quiekte nach Milch.
    Die junge Mutter sagte: »Mama, du solltest dieses Ding endlich fortschaffen. Es hat ausgedient und sieht scheußlich neben deinen schönen Stilmöbeln aus.«
    »Ich dachte, du mochtest es«, bemerkte ihre Mutter.
    »Natürlich«, sagte die Tochter. »Es war herrlich, als ich ein Kind war. Aber ich bin kein Kind mehr, und es funktioniert auch nicht mehr richtig.«
    Das Spieltier hatte sich auf die Beine hochgekämpft und umklammerte die Fessel seiner Herrin. Diese trug es sanft fort und stellte ihm eine Untertasse mit Milch und eine Tasse in der Form eines Fingerhutes hin. Das Spieltier versuchte, einen Knicks zu machen, wie man es ihm vor langer Zeit beigebracht hatte, rutschte aus, fiel und wimmerte. Die Mutter richtete es auf, und das kleine alte Tierspielzeug schöpfte die Milch in den Fingerhut und schlürfte sie dann mit seinem kleinen zahnlosen alten Mund.
    »Erinnerst du dich, Mama …«, begann die jüngere Frau und verstummte.
    »An was soll ich mich erinnern, Liebling?«
    »Du hast mir von Helen Amerika und Mr. Nicht-mehr-grau erzählt, als dieses Ding noch funkelnagelneu war.«
    »Ja, mein Schatz, das kann sein.«
    »Du hast mir nicht alles erzählt«, sagte die jüngere Frau vorwurfsvoll.
    »Natürlich nicht. Du warst ja noch ein Kind.«
    »Aber die Geschichte war doch furchtbar. Diese grässlichen Leute und die schreckliche Art, auf die die Segler lebten. Ich weiß wirklich nicht, warum du es so idealisiert und eine Romanze genannt hast …«
    »Aber es war eine. Es ist eine!«
    »Romanze, von wegen!«, klagte die Tochter. »Sie ist ebenso schrecklich wie du und das abgetakelte Spieltier.« Sie deutete auf die kleine alte Puppe, die neben der Milch eingeschlafen war. »Ich finde dieses Ding einfach entsetzlich. Du solltest es wirklich loswerden. Und die Welt sollte die Segler loswerden.«
    »Sei nicht so roh, Liebling«, bat die Mutter.
    »Und du sei nicht so eine sentimentale Gans«, sagte die Tochter.
    »Vielleicht sind wir aber so«, sagte die Mutter mit einem liebevollem Lachen. Ohne viel Aufhebens legte sie das schlafende Spieltier auf einen gepolsterten Sessel, wo es nicht im Wege war und nicht verletzt werden konnte.

XII
    Außenseiter haben das wahre Ende dieser Geschichte nie erfahren.
    Mehr als hundert Jahre nach ihrer Hochzeit lag Helen im Sterben; sie starb glücklich, weil ihr geliebter Segler an ihrer Seite war. Sie glaubte, wenn sie den Raum überwunden hatten, dann würden sie den Tod ebenso überwinden können.
    Ihr von Liebe erfülltes, glückliches, sterbendes Bewusstsein begann dahinzudämmern, und sie griff eine Auseinandersetzung auf, die sie seit Jahrzehnten ruhen gelassen hatten.
    »Du bist doch auf der Seele erschienen«, sagte sie. »Du hast doch an meiner Seite gestanden, als ich verloren war und nicht wusste, wie ich die Waffe benutzen sollte.«
    »Wenn ich damals zu dir gekommen bin, Liebling, dann werde ich auch diesmal dahin kommen, wo immer du sein magst. Du bist mein Liebling, mein Herz, meine einzig wahre Liebe. Du bist meine

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