Was bin ich wert
Mutter Angst vorm Sterben hat. Wir haben darüber gesprochen. Auch darüber, ob sie zu uns ziehen soll, wenn sie nicht mehr allein klarkommt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Herausforderung meistern könnte. Sie will nicht zur Last fallen.Ein schwieriges Thema. Wir schweigen. Doch da ist noch diese Frage, die mir jetzt sehr egoistisch vorkommt. Ich muß sie stellen.
– Und was wäre ich wert?
– Auch so.
– Ich wäre 100 000 Euro wert?
– Ja, ich denke schon.
Ich bin irritiert, fühle mich unterbewertet. Klar, ich gebe niemandem Arbeit, aber schließlich ist sie meine Mutter.
– Also ich wäre dir 100 000 Euro wert?
– Nein! Für mich doch nicht! 100 000 ist ein allgemeiner Wert. Das hängt natürlich auch immer davon ab, für wen man das wert ist.
– Dann bin ich dir mehr wert als 100 000?
– Ja, natürlich.
– Wieviel?
– Unendlich.
Puh.
– Am meisten ist der wert, der geliebt wird.
– Danke Mama.
»Unendlich« ist zwar keine Zahl, aber »unendlich« ist ein Trost. Das tut gut. Und meine Mutter hat recht. Natürlich. Die Frage oder Einschränkung, »für wen« man welchen Wert hat, ist wichtig, im Grunde sogar entscheidend. Ich hatte es fast vergessen, doch meine Tochter ist mir zweifellos mehr wert als mein Nachbar. Das läßt sich nicht leugnen, auch wenn mein Nachbar sehr nett sein mag. Und natürlich würde ich mich weigern, den Wert meines Nachbarn und vor allem meiner Tochter in Geld zu bemessen. Aber wenn es hart auf hart käme, würde ich Prioritäten setzen. Auch das kann ich nicht leugnen. Abgesehen von der Frage, für wen ich was oder wieviel wert bin, wüßte ich aber eben gern meinen »Universalwert«. Offensichtlich ein kleines strukturelles Dilemma meiner universellen Privatforschung. Nach einigen Abwägungen entscheide ich mich, meine Ausgangsfrage auch weiterhin so allgemein und einfach wie möglich zu stellen, umden ganzen Relativierungen, die ohnehin früher oder später kommen werden, nicht auch noch Vorschub zu leisten. Und schließlich gibt es von meinem Nachbarn und so weiter einmal abgesehen ja auch allgemeine Rechnungen, etwa bei den Schmerzensgeldern. Und so ein »Allgemeinrechner«, denke ich, ist auch Hannes Spengler.
10.
Der Wert eines Lebens – rein statistisch. Anruf bei einem, der es ausgerechnet hat
Dr. Hannes Spengler ist 40 Jahre alt, mag nach Auskunft seiner Homepage Skifahren, Tennis, Laufen, Klettern, Literatur und die Börse. Nach seinen Berechnungen soll ein Menschenleben in Deutschland 1,65 Millionen Euro wert sein. Ein Durchschnittswert, logisch. Ein Männerleben ist demnach im Schnitt 1,72 Millionen wert, ein Frauenleben nur 1,43 Millionen. Super, denke ich, der traut sich was, der ist mein Mann. Als wir das erste Mal Ende 2008 telefonieren, sitzt Spengler in seinem Büro bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), wenige Tage nachdem diese rund 320 Millionen Euro an eine amerikanische Bank geschickt hat, die längst pleite war. Das war für den Ruf der KfW nicht so gut, und ich vermute, das ist der Grund, weshalb Spengler nicht über den Fall reden möchte. 320 Millionen Euro, das sind immerhin 186 deutsche Männer- oder sogar 223,8 deutsche Frauenleben. Eine ganze Menge also. Einfach so nach Amerika.
Nein, nicht ganz soviel, sagt Spengler. Die Zahlen hätten sich geändert. Er meint seine Zahlen, nicht die der KfW. Die alten Berechnungen seien von 2004. Es gibt neue. Ein deutsches Leben sei jetzt ca. 3,5 Millionen Euro wert. In wenigen Jahren hat sich mein Wert also ziemlich exakt verdoppelt. Das sind gute Nachrichten. Bei den neuen Zahlen hat Spengler nicht mehr zwischen Frauen und Männern unterschieden, sagt er. Ich verstehe. Trotzdem, 100 Prozent Wertsteigerung in wenigen Jahren sind beeindruckend. Gibt es eine Erklärung? Ja, sagt Spengler, die Methoden.
– Welche Methoden?
Jetzt ist der Diplom-Volkswirt nicht mehr zu bremsen. Worum es ihm geht, ist der Wert eines statistischen Lebens, kurz WSL .
Die Methode wurde in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in den USA entwickelt. Grundsätzlich geht es darum, was ein Mensch zu zahlen bereit ist, um nicht sterben zu müssen. Spengler gibt ein vereinfachtes Beispiel.
In einem Fußballstadion sind 10 000 Menschen versammelt. Sie erfahren, daß einer von ihnen ausgelost wird, der dann sterben soll. Jeder einzelne wird gefragt, wieviel er zahlen würde, um dieses Risiko für sich auszuschließen. Da
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