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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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verschuldete, und der ersten Ehe, die sich schon am Hochzeitstag als großer Irrtum herausstellte. Er versucht zu erklären ohne zu beschönigen. Die Tat, der Mord an seiner Frau, war brutal. Ein Handkantenschlag auf den Kehlkopf, nachdem er sie mit einem Liebhaber antraf, das Brotmesser, mit dem er ihre Halsschlagader durchtrennte.
    –   Was ist ein Mensch wert?
    –   Bei so einer Tat ist ein Mensch überhaupt nichts wert.
    Als er sich im Knast vorstellen mußte und nach seiner Tat gefragt wurde, haben ihn die anderen als Mörder bejubelt. In der Knasthierachie stand er weit oben. Ganz unten standen und stehen die von allen drangsalierten Sexualstraftäter, vor allem die, die sich an Kindern vergriffen haben.
    Er erzählt von dem krankhaften Narzißmus, der ihm attestiert wurde, davon, daß dabei andere Menschen immer nur Erfüllungsgehilfen – »Applausgeber« – seien, die er nicht wertschätzen könne und nicht wertschätzen wolle. Viele Narzißten, glaubt er, landeten aber nicht im Knast, sondern machten Karriere, etwa in der Wirtschaft.
    –   Hat ein Mensch einen monetären Wert?
    –   Hier nicht, draußen ja. Diese Stars mit ihrem fetten Geld. Es geht nur um Sieg oder Niederlage, darum, daß der andere weniger wert ist als man selbst. Alle prostituieren sich.
    Er macht eine kleine Pause.
    –   Wenn es um den Menschen an sich geht, haben Sie hier eine Bandbreite, die sie schaudern läßt. Diese Kälte, wenn einer fünf Menschen nur wegen der Kohle umbringt. Die Opfer wie Objekte, wie Möbel. Völlig unmenschlich.
    Noch während der ersten Haftstrafe heiratet er erneut. Die Frau sitzt wegen Totschlags. Wider Erwarten funktioniert die Ehe. Zumindest in den ersten Jahren. Er macht eine Ausbildung, Abitur, studiert kurzzeitig Philosophie und Psychologie, muß das Studium jedoch abbrechen, um für die Familie – mittlerweile hat er zwei Töchter – Geld zu verdienen. Auch das gelingt, als Computerfachmann verdient er gut. Aber sein Kompagnon brennt mit der Kasse durch, dem wirtschaftlichen Absturz folgt der persönliche. Sein hochbegabter Sohn aus erster Ehe erfährt mit 19 Jahren mehr oder weniger zufällig, daß sein Vater der Mörder seiner Mutter ist, und wirft sich vor einen Zug. Die zweite Ehe scheitert, dann der Mordversuch, die Verurteilung zu zwölf Jahren Haft, das Entsetzen seiner Kinder, die den Kontakt zum Vater abbrechen. Seine Mutter stirbt. Sein Vater bringt sich um.
    –   Knallhart ausgedrückt: Es gab in Deutschland mal den Begriff »lebensunwertes Leben«, und zu dieser Kategorie zähle ich mich und auch viele, die hier sind.
    Pause. Ich weiß nicht, wie ich mit diesem Lebensdrama umgehen soll. Zahlen und Eurobeträge machen da wenig Sinn. Eine letzte Idee.
    –   Hatten Sie mal mit Auftragsmördern zu tun?
    –   Ja. Mörder kann man kaufen.
    –   Um welche Summen ging es da?
    –   Manchmal ging es gar nicht um Geld, sondern um sexuelle Gefälligkeiten. Nach dem Motto: »Wenn du den umlegst, dann bleiben wir beide zusammen.« Aber es gab auch die reiche Frau, die 100   000 Mark für den Mord an ihrem Ehemann geboten hat.
    –   Sind 100   000 Mark angemessen?
    –   Nee, vom rein kaufmännischen Standpunkt aus nicht.
    –   Was wäre Ihrer Erfahrung nach angemessen?
    Pause.
    –   Wenn man die Moral außen vorläßt?
    –   Ja.
    Er überlegt.
    –   Wenn man also die Moral außen vor läßt und sich dieser Logik hingibt: Die Aufklärungsrate liegt bei 95 Prozent, also ein sehr hohes Risiko. Mhm … Vielleicht eine Million?
    –   Euro?
    –   Ja, eine Million Euro. Die Bereitschaft zur Gewalt ist überall vorhanden, überall. Und in Osteuropa, in Ex-Jugoslawien oder gar Tschetschenien herrschen andere Preise. Da gibt es das billiger, das weiß ich. Denen geht es dreckiger. Da ist ein Mensch nicht so hoch angesiedelt wie hier.
    Er atmet tief ein.
    –   Dieses Kulturmäntelchen aus Moral und Ethik ist sehr, sehr dünn.
    Zum Abschied eine letzte, fast schon rhetorische Frage.
    –   Haben Sie selbst Ihr eigenes Leben zu wenig wertgeschätzt?
    Er nickt. Dann wird er wieder in seine Zelle geführt. Ich frage mich, was Freiheit wert ist. Ich meine in Geld.
    Die Entschädigung für zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzug gemäß Paragraph 7 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen wurde im Sommer 2009 von elf Euro auf 25 Euro für jeden angefangenen Tag in Haft erhöht. Davon können noch jeweils sechs Euro für die

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