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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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für die großen Unterschiede werden bei internationalen Vergleichen zusätzlich kulturelle Differenzen als allgemeine Begründung angeführt.
    In den USA spielt der WSL eine wichtige Rolle. Das US Office of Management and Budget empfiehlt allen Regierungsbehörden den WSL für Kosten-Nutzen-Rechnungen bei Entscheidungen, die Einfluß auf die Gesundheit beziehungsweise das Sterberisiko der Bevölkerung haben. So wollte die Consumer Product Safety Commission ( CPSC ) beispielweise 2008 neue verbindliche Standards für die Feuerfestigkeit von Matratzen verabschieden. Die Produzenten schätzen zwar, daß dadurch 324 Millionen Dollar Mehrkosten im Jahr entstünden, doch CPSC hatte ermittelt, daß die sichereren Matratzen jährlich 270 Menschen das Leben retten würden. Und da CPSC für den Wert eines Lebens mit fünf Millionen Dollar kalkulierte, ergab die Kosten-Nutzen-Rechnung einen Gewinn von übereiner Milliarde Dollar. Die neuen Standards wurden verabschiedet.
    Allerdings legen die verschiedenen Behörden ihren Berechnungen unterschiedliche Werte zugrunde. Die US Environmental Protection Agency hält bei Umweltfragen 7,4 Millionen Dollar für angemessen, das Department of Transportation rechnete bis Anfang 2008 im Verkehrsbereich noch mit drei Millionen, erhöhte dann aber mit einem Schlag auf 5,8 Millionen Dollar. Grund dafür war nach Selbstaussage der Vergleich mit verschiedenen anderen Behörden und das Studium der aktuellen Fachliteratur.
    Was ist denn mit dem Wert eines statistischen Lebens in Deutschland, frage ich Spengler. Nicht viel, sagt der und klingt dabei halb verärgert, halb frustriert. Er schlägt vor, daß wir uns mal treffen. Gern, trotz aller Vorbehalte, seine 3,5 Millionen schmeicheln mir. Bald ist er weg von der KfW und Professor einer Fachhochschule in Mainz, dann könne er freier reden. Ich hoffe darauf, einen ruhigen Moment zu finden, in dem ich Spengler fragen kann, ob diese 3,5 Millionen auch für mich ganz persönlich gelten. Und was ich machen kann, um meinen Wert vielleicht noch ein bißchen zu steigern.
    Vorher will ich aber noch ins Gefängnis.

11.
»Im Knast lernt man, was ein Mensch wert ist.« Gespräch mit einem Mörder
    Als Journalist habe ich viele Gespräche mit Langzeithäftlingen geführt. Es ging um ihren Alltag in Unfreiheit, ihre Taten, ihre Perspektiven. Die meisten Häftlinge waren wegen Mordes verurteilt. Mir wurde dabei klar, daß es den »klassischen« Mörder nicht gibt. Jeder Täter, jedes Motiv und jedes Opfer ist anders. Doch in jeder Tat liegt ein menschlicher Abgrund. Die Männer, die ich traf, verfügten über existentielle Erfahrungen, die mir fremd sind.
    Ich mache mich auf den Weg in ein Gefängnis, um zu erfahren, wie wohl ein Mörder den Wert eines Menschen einschätzt. Das Besuchszimmer ist frisch renoviert und eher klein. Der Mann, auf den ich darin treffe, ist Mitte Fünfzig. Schwarze Kleidung, dünne weiße Haare. Er hat einen stechenden Blick aus eher müden Augen und auffallend schlechte Zähne.
    Zur Zeit macht er im Rahmen des Strafvollzugs eine Sozialtherapie. Mit Anfang Zwanzig hat er seine Ehefrau ermordet. Da er zum Zeitpunkt der Tat unter Alkoholeinfluß stand, galt er als »vermindert steuerungsfähig«. Deswegen wurde er nicht zu einer lebenslangen, sondern zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt. Mit Mitte Vierzig versuchte er, seine zweite Ehefrau zu ermorden, wofür er zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde.
    Er sagt, es gehe ihm hier besser als einem Hartz- IV -Empfänger draußen. Bald wird seine Haft gelockert, er kann die Anstalt dann bis zu 96 Stunden im Monat in Begleitung eines Beamten verlassen, weiß aber nicht, was er draußen machen soll. Er hat kein Geld. Auch nicht für eine anständige Sanierung seiner Schneidezähne.
    –   Wo soll ich denn das Geld herkriegen? Banküberfall? Hier drin kann man keine Bank überfallen.
    Er lacht. Es klingt zynisch. Ich frage, was Freiheit für ihn bedeutet, und er erzählt mir seine Lebensgeschichte. Vom Nazi-Vater, der in Stalingrad in Gefangenschaft geriet, und den Nazi-Onkeln, die auch lange nach dem Krieg noch in voller Uniform Führers Geburtstag feierten. Den vielen Prügeln, die er erst bekommen und später selbst ausgeteilt hat. Der Sozialisierung auf der Reeperbahn, den ehemaligen Klassenkameraden, die Frauen auf den Strich schickten und wie Ware behandelten, indem sie sie für 15   000 D -Mark kauften und für 20   000 weiterverkauften. Der Freundin, deren Unfalltod er

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