Was bin ich wert
wärest du bereit, für mich zu bezahlen?
Sie schaut weniger unglücklich. Der Gedanke, nur Geld geben zu müssen, scheint sie zu erleichtern.
– Na, wenn du entführt würdest – alles was ich habe!
– Schön.
– Ich würde auch Schulden machen. Wenn es sein muß, bis an mein Lebensende.
Wir schauen uns an. Ein zartes Grinsen. Ich will sie weder zu einem Kassensturz zwingen noch mit einem Entführungsszenario unnötig beunruhigen. Wir wechseln das Thema.
Ihre Antwort beruhigt mich emotional. Rein ökonomisch bleibt sie unklar und somit etwas unbefriedigend. Ich brauche Sachverstand, genauer gesagt ökonomischen Sachverstand. Der ist bei mir und meinen Freunden nicht sonderlich ausgeprägt. Ein Fachmann muß her. Ich finde ihn in meiner Familie. Ein Betriebswirt mit Diplom, Erfahrung und Erfolg.
4.
Über Kopfjäger, Märkte, Werte und Preise. Mein Schwager gibt mir eine Einführung in die Betriebswirtschaft
Nach einem Familienessen im Haus meiner Schwiegermutter sitze ich mit meinem Schwager am Kamin. Er ist Manager in einem großen Unternehmen. Er verdient vier-, fünf-, vielleicht auch sechsmal soviel wie ich. Manchmal beneide ich ihn um das viele Geld. Um seinen Job beneide ich ihn nicht. Aber er hat Erfahrungen mit Headhuntern, Personalvermittlern für das gehobene Management, die wirtschaftliche Elite. So ein Kopfjäger sollte eine Vorstellung haben, was das wert ist, was er jagt. Daß die Beute in der Regel gerade für ein anderes Unternehmen arbeitet, ist egal. Es macht die Sache nur spannender. In erster, zweiter und dritter Linie geht es dabei ums Geld.
– Hattest du schon mal mit einem Headhunter zu tun?
– Natürlich.
Mein Schwager, das muß ich an dieser Stelle sagen, ist kein Angeber. Was ich vor allem an ihm schätze, ist seine Offenheit.
– Und wie läuft das?
– Manchmal gibt es einen Anruf. Meistens wenn ich bei der Arbeit bin. Die erste Frage lautet immer, ob ich frei sprechen kann. Ob niemand mithört. Dann geht es sehr schnell darum, ob ich mir vorstellen könnte, den Job zu wechseln. Und eventuell auch, ob ich zu einem Umzug bereit wäre.
Klingt konspirativ. Natürlich habe ich noch nie so einen Anruf bekommen.
– Geht es bei so was nicht auch um deinen Marktwert?
Das, denke ich, kommt meinem Thema schon recht nahe.
– Klar.
Wenn er einen Marktwert hat, dann könnte ich ja vielleicht auch einen haben.
– Und wie läuft das? Welche Tests machen die?
– Keine Tests, nur Fragen.
– Was für Fragen?
– Mein Ausbildung, meine Erfahrung. Aber das wissen die meistens schon, bevor sie anrufen.
– Und dann?
– Dann fragen die mich, wie ich wirke, ob ich konfliktfähig bin, ob ich mich durchsetzen kann. Manchmal soll ich ihnen dafür dann auch Beispiele liefern.
– Und was erzählst du denen dann?
– Die Wahrheit.
Mein Schwager grinst.
– Aber die wollen dann auch Referenzen haben, Leute, die sie anrufen können, um sie über mich auszufragen.
– Ist das ein Problem für dich?
– Nein.
Wieder grinst mein Schwager. Das mit den Headhuntern und dem Marktwert läuft wohl doch nicht ganz so seriös, wie ich dachte.
– Und dann?
– Irgendwann kommt dann so ein Satz wie: So einen Typen wie Sie kann ich da und da hin vermitteln. Und da können Sie dann das und das verdienen.
– Lohnt sich das?
– Ja, das lohnt sich. Bei so einem Wechsel erhöht sich das Gehalt in der Regel um 20, 30 oder auch 40 Prozent.
Es fällt mir schwer, meinen Neid zu unterdrücken.
– Und dieses Gehalt ist dann dein Marktwert?
– Nein.
– Nein?
– Nein. Das ist ja kein freier Markt, und deswegen ist das auch kein Marktpreis.
Mein Schwager ist studierter Betriebswirt. Er ist genau. Man kann ihm nichts vormachen, und blenden lassen will er sich auch nicht.
– Dem Headhunter geht es nicht um meinen Wert. Dem Headhunter geht es um seine Kohle. Die macht er, in dem ermich von A nach B vermittelt. Und er versucht, für mich ein möglichst hohes Gehalt rauszuschlagen, weil er dann auch eine hohe Provision bekommt. In der Regel sind das zwei bis drei Monatsgehälter.
Wenn es keine wirklichen Marktpreise gibt, muß ich auch keinem Headhunter hinterhertelefonieren, um etwas über meinen entsprechenden Wert rauszukriegen. Ich bin ein bißchen enttäuscht, aber auch erleichtert, daß mir diese Demütigung erspart bleibt.
– Sonst noch Fragen?
Mein Schwager
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