Was bin ich wert
und ich nicht vorsätzlich gehandelt habe und so weiter. Und wenn es um das Opfer eines von mir verursachten Unfalls geht, wird die genaue Schadenshöhe von einem Gericht bestimmt. Ich nicke. Sie macht weiter.
– Wenn Sie also den Vertrag ihrer Privathaftpflichtversicherung auf acht Millionen umstellen, dann sind wir schon ganz gut versichert.
Acht Millionen Euro sind die vertragliche Obergrenze, bis zu der meine Versicherung die Kosten für von mir verletzte oder getötete Menschen pro Unfall übernimmt.
– Diese acht Millionen würde die Versicherung aber nur zweimal in einem Jahr zahlen. Beim dritten Mal müssen Sie dann selbst ran.
Ich sollte also nicht mehr als zwei Acht-Millionen-Euro-Personenschäden im Jahr verursachen. Die Frau lacht, der Mann auch. Versicherungsagentenhumor.
– Wieso eigentlich acht Millionen, wieso nicht eine oder 100?
Die Frau hört auf zu lachen, guckt mich an, kramt in ihrenPapieren. Für die Privathaftpflicht gibt es keine gesetzlich geregelten Mindestdeckungssummen. Bei der Kfz-Haftpflicht, zu der jeder Fahrzeughalter verpflichtet ist, sind aber mindestens 7,5 Millionen Euro für Personenschäden und eine Million Euro für Sachschäden vorgeschrieben.
– Und wir bieten ihnen sogar acht Millionen für Personenschäden im Rahmen ihrer privaten Haftpflicht. In den meisten anderen Ländern sind die Mindestdeckungssummen bei der Kfz-Haftplicht übrigens wesentlich niedriger.
– Wieso? Sind da die Menschen weniger wert?
Blicke von beiden. Dann wieder Lachen. Aber nur kurz.
– Das ist eine anstößige Frage.
Ich verstehe. Andere Länder, andere Sitten. Die deutschen Garantiesummen beruhen auf Erfahrungswerten und reichen »praktisch immer«, sagen die Versicherer. Zumindest im privaten Bereich und zumindest für die Personenschäden. Wer will, kann aber grundsätzlich auch als Einzelperson eine unbegrenzte Schadenshöhe versichern, wenn er bereit ist, die entsprechend höheren Prämien zu bezahlen. Bei der Frage, was ich wert bin, können mir die Haftpflichtversicher also nicht helfen. Aber Moment, wie steht es denn um die Lebensversicherungen? Doch leider ist mein Gesprächstermin hier in der Agentur schon lange überzogen. Und da ich eh nichts kaufen will, möchte ich die Geduld und auch den Humor der beiden Berater nicht überstrapazieren. Aber wer könnte mir weiterhelfen? Die Frau drückt mir ein Kärtchen in die Hand.
– Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft.
Ich bedanke mich. Die beiden scheinen ein bißchen enttäuscht, daß ich keine neue Versicherung abgeschlossen habe. Aber mit so was kann ich mich jetzt nicht aufhalten.
6.
Von unendlich bis gar nichts. Meinen Wert bestimme ich selbst, sagen die Versicherer. Ein Besuch bei ihrem Gesamtverband
Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft hat seinen Sitz in der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte. Ein siebenstöckiger Bürobau, schmucklose Glasfassade, Konfektionsarchitektur. Am Empfang hängen riesige Hochglanzfotos von Mexiko City, dazu der Slogan, die deutschen Versicherer seien fit für die Zukunft, auch für die Risiken der Mega-Citys. Angeber. Dann weisen sie noch darauf hin, daß auf ihrer Homepage »virtuelle Frauen auf Kundenfragen antworten«.
Eine zum Glück ganz reale Frau drückt mir einen Anstecker mit dem Schriftzug »Besucher« in die Hand und schickt mich mit dem Aufzug in den siebten Stock. Dort wartet bereits eine andere nette Dame, die mich in ein Konferenzzimmer führt. Dort treffe ich auf einen Pressereferenten, der schon weiß, worum es geht, weil ich meine Gesprächsanfrage schriftlich formulieren mußte. Daraufhin hat mich der Referent gleich angerufen und gefragt, ob ich es mit meiner Frage »Was bin ich wert?« tatsächlich ernst meine.
Das Gespräch, das ganze Thema ist ihm offensichtlich unangenehm. Er wolle, sagt er, in kein Fettnäpfchen treten. Dann entwickelt sich ein etwas verkrampfter Dialog um die Frage, welchen Wert ein Mensch aus Sicht der Lebensversicherungen hat. Er sucht dabei nach Worten, scheint über die gefundenen aber nicht immer glücklich zu sein. Auf ein paar Fragen antwortet er mit einem Nicken, am Ende meist nur noch mit einem Seufzer.
Als ich ihn später um die schriftliche Bestätigung seiner, wie ich finde, harmlosen Aussagen bitte, verweigert er die Autorisierung und schreibt statt dessen bestens abgesicherte Sätze wie »Jeder kann sich so hoch versichern, wie er möchte und es ihm möglich ist«.
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