Was bin ich wert
sinkt ein wenig tiefer in das bequeme Sofa unserer Schwiegermutter. Eine Frage hätte ich noch.
– Was ist ein Mensch wert?
– In Geld?
– Ja.
– Geht nicht.
Ich bin ein bißchen enttäuscht.
– Ich will’s aber wissen.
– Also wenn man alle ethischen und moralischen Grundsätze über Bord wirft …
– Ja, mach mal!
– Wenn man sich also von den alten Denkmustern befreit …
– Weg mit den alten Denkmustern!
– … dann muß man Kriterien für die Bewertung finden.
Super. So habe ich mir das vorgestellt. Ich komme der Sache näher.
– Man muß genau definieren, um welchen Wert es geht. Und wenn man es dann nicht ideell betrachtet …
– Nein, nicht ideell betrachten!
– … dann gibt es für jeden Wert auch einen Preis. Und der wird in der Regel in Geld bemessen. Oder in Kokosnüssen.
– Keine Kokosnüsse!
– Also: Der Preis einer Ware ist Ausdruck ihres Wertes in Geld. Oder anders: Der Tauschwert einer Ware, in Geld ausgedrückt, ist der Preis.
– Das klingt ein bißchen nach Marx.
Marx habe ich bisher immer eher intuitiv verstanden.
– Egal. Aber um den Wert zu realisieren, brauche ich einen Markt, auf dem es theoretisch eine Preisforderung des Anbieters und ein Preisgebot des Nachfragers gibt. Und aus der Nachfrage, dem Knappheitsverhältnis, also dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage, ergibt sich dann der genaue Preis.
– Der dann den Wert der Ware ausdrückt.
– Richtig.
Gar nicht so schwer, denke ich.
– Und für einen Menschen?
– Brauchen wir noch ein Kriterium, über das man seinen Wert definieren kann.
– Klar. Wir brauchen ein Kriterium.
– Dafür müssen wir aber alle ethischen und moralischen Grundsätze …
– … über Bord werfen.
Das muß ich tun. Ich darf mich jetzt nicht aufhalten lassen.
– Genau. Nehmen wir zum Beispiel mal Blutgruppen. Einige sind seltener. Die sind dann mehr wert.
Während ich versuche, mich an meine Blutgruppe zu erinnern, denkt mein Schwager schon weiter.
– Entscheidend ist das Kriterium, das man zuläßt. Zum Beispiel ob einer schneller rennen kann. Dem Menschen geht es ja immer darum, sich zu messen. Wer schneller rennen kann, ist dann mehr wert.
– Und bekommt dann die besseren Werbeverträge, Startgelder und so weiter. Er wird reicher und angesehener. Und wenn er gedopt ist?
– Darum geht es nicht. Es geht um das Kriterium. Komplizierter wird es zum Beispiel bei Schönheit. Schwer zu definieren, was das genau sein soll.
Das sagt er als Betriebswirtschaftler.
– Aber eine schöne Frau erfährt in der Regel mehr Wertschätzung als eine weniger schöne.
Er grinst wieder.
– Das einzige Kriterium zur Bewertung von Menschen, bei dem es mit der gesellschaftlichen Legitimierung keine Probleme gibt, ist der Arbeitslohn. Eigentlich heißt es, alle Menschen sind gleich.
– Klar.
– Aber Arbeit wird sehr unterschiedlich bezahlt.
– Stimmt.
– Eine Friseuse, ein Arzt, du, ich. Aber wenn man andere Kriterien als den Arbeitslohn nimmt, wird es ganz schnell absurd. Und abwegig.
Er grinst jetzt nicht, er lächelt freundlich. Das Thema ist für ihn beendet. Keine abwegigen Wege mehr. Für mich gilt das nicht. Ich weiß jetzt, wie man Wert bemessen kann. Aber auch, daß es bei Menschen irgendwie nicht geht. Das Problem sind die Kriterien.
Dabei finde ich das mit dem »Wert der Schönheit« sehr interessant. Mir ist ein schönes Lächeln auch lieber als ein häßliches. In der Psychologie spricht man da vom »What-is-beautiful-is-good«-Stereotyp. Ökonomen schätzen, so lese ich, daß schöne Menschen zwischen zehn und 15 Prozent mehr verdienen als nicht so schöne. Das betrifft im übrigen nicht nur die »reine Schönheit«. Laut einer Untersuchung der Universität München verdienen große Menschen mehr als kleine: Pro Zentimeter mehr an Körpergröße sollen 0,6 Prozent mehr Bruttogehalt die Regel sein. Eine wirklich überzeugende Erklärung dafür gibt es allerdings nicht. Interessant sind aber die Studien der Wirtschaftswissenschaftlerin Sonja Bischoff von der Uni Hamburg. Demnach halten ein Drittel der männlichen, aber nur ein Viertel der weiblichen Manager die äußere Erscheinung für karrierefördernd.
Bischoffs Untersuchungen zeigen auch, daß die »Schönheit« in den letzten 20 Jahren an Bedeutung gewonnen hat. 1986 fanden bloß sechs Prozent aller Befragten
Weitere Kostenlose Bücher