Was bin ich wert
Oder: »Jeder bestimmt für sich ganz individuell die für ihn benötigte Risikoabsicherung«. Und: »DieSumme der Versicherungsprämien drückt lediglich das finanzielle Volumen der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Kunden und Versicherung aus.«
Dabei ist alles ganz einfach. Die Lebensversicherer bestimmen nicht den Wert von Menschen. Das macht im Grunde jeder für sich selbst, indem er entscheidet, über welche Summe er sein Leben versichern will. Die Versicherung kalkuliert dann anhand ihrer komplexen Statistiken das entsprechende Risiko und berechnet die Höhe der zu zahlenden Prämie. Die muß dann der Mensch, also der Kunde, auch zahlen können. Basta.
Die durchschnittliche Versicherungssumme bei Risikolebensversicherungen betrug im Jahr 2010 in Deutschland 71 900 Euro. Ich besitze keine solche Versicherung. Also habe ich für die Versicherung auch keinen Wert. Im 19. Jahrhundert galten derartige Verträge – man bekommt Geld, wenn einer früher stirbt als erwartet – als »vulgäre Kommerzialisierung des Todes«. Passend dazu musste die Deutsche Bank vor ein paar Jahren Hunderte Millionen Euro Verlust mit extra aufgelegten Fonds einräumen, die im großen Stil Lebensversicherungen hochbetagter Amerikaner aufkauften. Da diese aber länger lebten, als vorausgesagt bzw. von den Anlegern erhofft, ging das Geschäft nach hinten los.
Ich denke noch ein wenig über das Leben nach. Und das Risiko. Und über beides zusammen. Ich lese von verschiedenen Versicherungsrekorden. Von den 3,7 Millionen Euro, für die Claudia Schiffer ihr Gesicht, oder den 100 Millionen Euro, für die Cristiano Ronaldo seine Beine versichern ließ. Bei Mariah Carey sollen die kurzfristig gar mal eine Milliarde Dollar wert gewesen sein. Auch Jennifer Lopez’ Versicherungsmakler muß einen guten Tag gehabt haben, als er Verträge für ihre Haare und ihr Gesicht über jeweils 50 Millionen Dollar, für den Busen über 220 Millionen Dollar und für den – ja tatsächlich – Po über »mindestens« 425 Millionen Dollar abschloß. Was im übrigen bedeutet, daß ihr Hintern Frau Lopez achtmal wertvoller war als ihr Gesicht.
Schätze ich mein Leben weniger hoch ein, wenn ich Risiken eingehe, und sei es nur eine harmlose Bergtour oder die Fahrt in einem öffentlichen indischen Reisebus? Bedeuten diese Risiken, daß mir mein Leben weniger wert ist? Ich zweifle.
Allerdings ist mir mein Leben zu lieb und sicher auch zu wertvoll, als daß ich zum Beispiel als freier Journalist im Irak arbeiten oder auf einem schweren Motorrad ohne Helm fahren würde. Andererseits war ich schon im bürgerkriegsgeplagten Nepal, im von den Taliban regierten Afghanistan und im terrorisierten Kaschmir unterwegs. Und beim Fahrradfahren verzichte ich auf einen Helm. All diese unterschiedlichen Abwägungen sind, strenggenommen, alles andere als logisch. Ist denn ein langes Leben überhaupt wertvoller als ein kurzes? Als mir meine Ärztin aufgrund meines niedrigen Blutdrucks nur halb im Scherz ein eher langes, aber auch eher langweiliges Leben voraussagte, war ich unsicher, was ich davon halten sollte. Ich bin es bis heute.
Da fällt mir noch was ein: meine Nase! Die wurde mal gebrochen. Und dafür und ein paar zusätzliche Prellungen habe ich damals 2500 Euro Schmerzensgeld bekommen. Zumindest hatte mir ein Gericht die Summe zugesprochen. Der Typ, der zugeschlagen hatte, war allerdings pleite, das Geld habe ich nie erhalten. Allerdings könnte das eine Spur sein. Der Anwalt sprach damals von Schmerzensgeldtabellen. Die muß ich mir besorgen. Also auf zur nächsten Bibliothek.
7.
5000 Euro für einen Zeh, 1 , 7 Millionen für einen kompletten Körper. Aber null Euro für das Leben. Eine Reise durch die Welt der Schmerzensgelder
In Paragraph 253, Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es: »Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.« Die Schmerzensgeldentschädigung hat dabei zwei Funktionen. Einmal geht es um den Ausgleich des immateriellen Schadens beziehungsweise der entgangenen Lebensfreude. Der zweite Aspekt ist die Genugtuung: Der Geschädigte soll Befriedigung erlangen, indem der Täter zumindest einen finanziellen Schaden davonträgt.
Die genaue Höhe eines Schmerzensgeldes ist vom Gesetzgeber nicht von vorneherein festgelegt. Die
Weitere Kostenlose Bücher