Was bisher geschah
Trinken.
Ein Hang zur Empirie mag dazu beitragen, dass viele Engländer 1660 trotz Sympathien für die Republik die Rückkehr der Monarchie als Stabilisierungsfaktor für das Land begrüßen. Pragmatisch sucht man sich Elemente aus verschiedenen Staatstheorien zusammen: Aus Thomas Hobbes’ eher pessimistisch gefärbtem Buch Leviathan (1651) übernimmt man die Erkenntnis, dass man, weil Menschen zueinander wie Wölfe sind ( homo homini lupus est ), einen starken Staat beziehungsweise Souverän braucht, der eine Grundsicherheit garantiert. Aus John Lockes optimistischeren Two Treatises of Government (1690) bleiben das Prinzip der Volkssouveränität, der Kontrolle des Königs durch das Parlament und die Betonung des natürlichen Rechtes auf Widerstand bei Machtmissbrauch.
Offen diskutieren lässt sich das alles, nachdem die Licencing Act 1695 nicht mehr erneuert wird und damit die Vorzensur bei Druckerzeugnissen wegfällt. Kurioserweise ist England für den Erzfeind Frankreich nicht nur ein avantgardistisches Vorbild in Sachen Revolution und Pressefreiheit samt Debattierclubs, sondern auch in puncto politischer Theorie. So baut Montesquieu in Vom Geist der Gesetze 1748 mit seiner einflussreichen Lehre von der Gewaltenteilung zwischen Exekutive (Regierung/König), Legislative (Parlament) und Judikative (Gerichte) auf Ideen Lockes auf.
Großes Lob bekommen die Engländer vom französischen Aufklärungsdenker Voltaire, der im achten seiner Philosophischen Briefe (oder Briefe über die Engländer ) 1734 bewundernd schreiben wird: »Das englische Volk ist das einzige der Erde, dem es gelungen ist, die Macht der Könige durch Widerstand einzuschränken.« Im neunten Brief lässt Voltaire mit Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ein Motiv anklingen, das fast alle bürgerlichen Revolutionen prägt: »Der Bauer hat keine in Holzschuhen wundgelaufenen Füße, er ißt weißes Brot, ist anständig gekleidet und schreckt nicht davor zurück, die Zahl seiner Haustiere zu vergrößern oder sein Dach mit Ziegeln zu decken, weil man ihn vielleicht im nächsten Jahr daraufhin mit höheren Steuern belasten könnte.« Eine Steuerentlastung, so Voltaire, lässt die Wirtschaft erblühen – genau wie es die oft kaufmännisch denkenden Revolutionäre wollen.
Die englische Revolution schafft verglichen mit der Französischen Revolution keine einprägsamen Ikonen. Doch wird sie in den 1770er Jahren als Anregung für ein Aufbegehren amerikanischer Kolonisten gegen ihr englisches Mutterland dienen. Und über die amerikanische Revolution wird sie auf Umwegen zum Vorbild für die Französische. Auch weil die europaweite Verkehrssprache noch nicht Englisch, sondern Französisch ist, exportierten bis dahin allerdings primär französische und nicht englische Denker fortschrittliche Ideen in andere Länder.
KAPITEL ELF
Freiheitskämpfer, Sklavenhalter und Denkerhelden
Das 18. Jahrhundert: Aufklärung, Revolutionen und die Geburt der öffentlichen Meinung
Zwar leben wir heute in aufgeklärten Zeiten, doch ist es schwer vorstellbar, dass eine deutsche Kanzlerin oder ein amerikanischer Präsident Berater hätte, die abfällig von der »Sekte der Christen« reden, vorbestraft sind und Bücher schreiben, in denen weibliche Geschlechtsorgane über ihre sexuellen Vorlieben plaudern wie in Die geschwätzigen Kleinode (1748) von Denis Diderot. Genau derartige Konstellationen zwischen Machthabern und Beratern sind im 18. Jahrhundert aber möglich, und dies mehr als zu anderen Zeiten. So coachen berühmte Denker der Aufklärung wie Diderot und Voltaire, auf die oben genannte Eigenschaften zutreffen, Könige gegen Spitzengehälter. Es ist eine Zeit des Übergangs von der alten Ordnung, dem Ancien régime, zum modernen Denken, zu mehr Freiheit. Das äußert sich in vielerlei Hinsicht zunächst auf der kulturellen und symbolpolitischen Ebene.
Für diese Ebene ist damals ein neuer Typ Held zuständig: Denkerhelden in der Art von Voltaire, Samuel Johnson, Immanuel Kant und der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft. Die neuen Helden passen gut in eine Zeit, in der absolutistische Herrscher wie Ludwig XV., Friedrich der Große und Katharina die Große ihre alte Rolle nicht mehr als stimmig empfinden, aber keine echten politischen Veränderungen wollen – weshalb sie ihr Augenmerk auf Bereiche wie Literatur, Philosophie und Erotik richten, die Ausweichmöglichkeiten bieten. Die Geistesheroen wiederum versuchen einerseits, als Berater
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