Was bisher geschah
kontrolliert, etwa im Handel mit den Portugiesen über Macao. Die Ausfuhr von Tee, Seide und Porzellan gilt als Zeichen der eigenen Überlegenheit; Porzellan etwa wird in Europa erst ab 1708 in Sachsen hergestellt. Wenn der Portugiese Simão Peres d’Andrade Zollabgaben verweigert und in der Kanton-Bucht eine Befestigung errichtet, bestätigt dies das Bild, das Chinesen von den europäischen »Barbaren« haben, die angeblich sogar chinesische Kinder rauben. Wiederholt werden portugiesische Kaufleute inhaftiert oder ausgewiesen.
Die zweite asiatische Großmacht, die sich neben China – und dessen Vasallenstaat Korea – abschottet, ist das Japan der Tokugawa-Shogune, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Macht übernehmen. Nachdem portugiesische Händler und Missionare wie der Jesuit Francisco de Xavier ab dem 16. Jahrhundert Tausende von Japanern für den christlichen Glauben gewinnen, wird das Christentum im 17. Jahrhundert verboten, verfolgt und praktisch ausgelöscht. Ab den 1630er Jahren bis 1853 schirmen die Tokugawa das Land von der übrigen Welt ab. Sie werfen die Portugiesen raus und erlauben nur den Chinesen und Niederländern – die nicht missionieren – den eingeschränkten Handel über den Hafen von Nagasaki.
Japan und China werden nie ganz als Kolonien unterworfen, und China kann man bis ins 18. Jahrhundert als die größte Macht der Welt bezeichnen; mit rund 350 Millionen Einwohnern stellt es noch um 1800 ein Drittel der Weltbevölkerung, einen größeren Anteil als heute. Zugleich verpassen China und Japan durch die Abschottung wichtige politische, technische und kulturelle Entwicklungen. Eine davon sind die Betonung und die Kultivierung der Privatsphäre.
Der König ist (fast) wie ich – Forschungsreisen in die Privatsphäre
Eine der wichtigsten Quellen zur Alltagsgeschichte und zum Denken des 17. Jahrhunderts ist nicht das Werk eines großen Schriftstellers, Philosophen oder Wissenschaftlers, sondern das eines Sekretärs im englischen Schatzamt: Samuel Pepys. Sein Tagebuch , von 1660 bis 1669 in Geheimschrift verfasst und erst im 19. Jahrhundert entschlüsselt und publiziert, steht an sich schon für einen historischen Durchbruch. Denn hier zeichnet ein Einzelner so offen seine Gedanken über Gott und die Welt auf, wie dies vor ihm im 16. Jahrhundert nicht einmal Aretino oder Montaigne in ihren Briefen beziehungsweise Essays taten. Selten hat man die intimsten Gedanken eines Menschen in seiner Zeit so buchstäblich lesen dürfen. Neben Einblicken in den Alltag verschafft Pepys dem heutigen Leser eine ungewöhnlich authentische Perspektive: das Aufeinandertreffen der Geschichte, wie sie später in Geschichtsbüchern steht, mit der Realität, wie sie von Tag zu Tag erlebt wird.
»Unter dem Kinn ein Pickel, der mir sehr zu schaffen macht«, notiert Pepys am 8. Februar 1660 in sein Tagebuch; er räumt der Hautunreinheit so viel Platz ein wie der Rückkehr der Monarchie oder einer Seeschlacht. In Zeiten religiöser Streitigkeiten beurteilt Pepys die vielen Predigten, die er hört, gleichwohl wie ein Unterhaltungsprogramm. Mal schläft er ein, mal bemängelt er das miese Latein des Priesters. Auch kritisiert er Shakespeares Romeo und Julia : »Das schlechteste Stück, das ich je gesehen habe.« Und das, obwohl damals erfreulicherweise endlich auch Frauen Theaterrollen übernehmen dürfen.
Dass der Cambridge-Absolvent Pepys ein privilegierter Zeitgenosse ist, zeigen schon seine Ernährungsgewohnheiten: zum Frühstück kalte Truthahnpastete und Gans, Austern, gelegentlich auch mehrere Biere. Zum Luxus gehören Hausmädchen, die er mal, wie er nebenbei notiert, so lange mit dem Besen verprügelt, »bis sie schrie«, mit denen er aber auch mal ein Verhältnis hat. Wenn er immer wieder darüber fantasiert, mit welcher Unbekannten er gerne etwas anfangen würde und über seine Frau sagt, sie »hat wieder ihre alten Beschwerden, ich war fast vierzehn Tage nicht mit ihr zusammen, was mich schmerzt«, mag das ein zeitloses Thema sein. Eine Besonderheit des 17. Jahrhunderts dürften Gedanken sein, die sich Pepys bei einem Dinner macht, bei dem bessergestellte Gäste der königlichen Familie wie im Theater beim Speisen zuschauen dürfen: »Die Königin eine sehr kleine, einfache, alte Frau, die sich weder in der Kleidung noch im Benehmen von anderen Bürgersfrauen unterscheidet.«
Derartige Beobachtungen sind beispielhaft für den langsamen Verlust des Glaubens an die Besonderheit oder gar
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