Was bisher geschah
Göttlichkeit der Königsfamilie. Auf politischer Ebene steht beispielhaft für die schrittweise Loslösung vom mittelalterlichen Weltbild vielleicht ein Tagebucheintrag, wonach das Parlament beschlossen hat, dass die Leichen von Oliver Cromwell und ein paar seiner Mitstreiter »in der Westminsterabtei exhumiert, an Galgen aufgehängt und darunter vergraben werden sollen. Bekümmert, dass ein Mann von so großem Mut solche Schmach erleiden muß, obwohl er sie auf andere Weise vielleicht verdient hat«.
Als Leitmotiv zieht sich durch Pepys’ Denken eine Mischung aus routinierter, oft oberflächlich anmutender Religiosität und einem hohen Maß an Toleranz und wissenschaftlicher Neugier. Er nimmt Mathematikstunden, weil das nicht zur allgemeinen Schulbildung gehört. Seine Lektüre umfasst Kirchengeschichten, Enzyklopädien, Ciceros Reden, aber auch »Gott, verzeih’s, mehrere französische Romanzen«. Nüchtern protokolliert er, dass »mein Kopf schwächer wird, wenn ich Wein trinke«.
Die Beobachtung passt zu der allgemeinen Entwicklung seiner Zeit, in der es nicht mehr immer nur Biersuppe zum Frühstück gibt, sondern auch mal Kaffee. Im 17. Jahrhundert finden neue Genussmittel wie Kaffee, Tee, Schokolade und Zucker als Kolonialwaren in Europa Verbreitung. So schreibt Liselotte von der Pfalz, die Schwägerin von Ludwig XIV., in einem Brief über neue Modegetränke am Hof von Versailles: »Tee kommt mir vor wie Heu und Mist, Kaffee wie Ruß und Feigbohnen, und Schokolade ist mir zu süß.« Sie will eine Biersuppe, wie sie in ärmeren Schichten noch lange als Frühstück üblich ist. Tendenziell setzt sich der Kaffee im 17. und 18. Jahrhundert als leistungsförderndes Getränk beim protestantischen Bürgertum in Nordwesteuropa durch, die Schokolade eher beim müßiggehenden Adel und im katholischen Südeuropa. Im 18. Jahrhundert erobert der Tee England.
Im Gegensatz zum aufstrebenden Bürgertum bleibt die Arbeiterklasse eher beim Alkohol, der Gemeinschaft stiftet. Im 18. Jahrhundert in Zeiten der Industrialisierung wird Branntwein zu massiven Suchtproblemen führen, einerseits aus wirtschaftlichen Gründen gepuscht, andererseits gesetzlich bekämpft. Demgegenüber gilt das Bier grundsätzlich als gesund und nahrhaft. Ein weiteres neuartiges Genussmittel ist der Tabak: Den Konsum sieht der kurpfälzische Gesandte Johann Joachim von Rusdorff 1627 in den Niederlanden als neue Mode aus Amerika. Entsprechend unbeholfen nennt er ihn »Sauferei des Nebels«. Allgemein spricht man noch vom »Rauchtrinken« oder »Tabaktrinken«.
Für derartige Neuerungen im Alltag interessiert sich Samuel Pepys ähnlich wie sein Lieblingsautor: Francis Bacon (1561 – 1626), Philosoph und Staatsmann, einer der einflussreichsten Denker seiner Zeit. In Novum Organum (1620) führt er die Induktion gegen die Spekulation ins Feld, das Experiment und die Empirie gegen ungeprüfte Glaubenssätze und Theorien. Stirbt Bacon an einer Lungenentzündung, nachdem er sich angeblich verkühlt, weil er ein totes Huhn mit Schnee füllt, um zu sehen, wie das den Verfallsprozess verzögert, prüft auch Pepys sich und seine Umwelt im Alltag. Eine launige Wendung erfährt das induktive Vorgehen, wenn Pepys den »Lieblingshund des Königs« auf einem Schiff beobachtet: »Der Hund hinterließ seinen Kot an Bord, darüber lachten wir, und ich dachte bei mir, dass ein König und alle, die zu ihm gehören, auch nicht anders als normale Menschen sind.«
Sozusagen praxisnah vermittelt Pepys’ Tagebuch einen Eindruck davon, wie ein wissenschaftliches Weltbild im 17. Jahrhundert langsam Raum greift. Zwar muss Galileo Galilei 1633 noch bei einem Inquisitionsprozess in Italien dem heliozentrischen Weltbild abschwören, um nicht verbrannt zu werden. Zwar sind auch in England die berühmte King James Bible (1611) und John Bunyans Pilgrim’s Progress ( Die Pilgerreise ), ein puritanisches Werk voller Schuldbewusstsein, Zerknirschung und mittelalterlich anmutender Allegorien, prägend für die Masse der Bevölkerung. Doch fördert die 1660 gegründete Royal Society die Naturwissenschaften. 1661 grenzt Robert Boyle in The Sceptical Chymist als Erster die experimentelle, empirisch begründete Chemie von der alten Alchemie, dem Zauberglauben ab. Beispielhaft für die Mischung aus Subjektivität und Wissenschaftlichkeit ist wiederum Robert Burtons Anatomy of Melancholy (1621), ein Handbuch zur Schwermut samt Gegenmitteln wie Jagd, Theaterbesuchen, Singen, Tanzen und
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