Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
international könnte überleben, wenn sie statt von ethisch motivierten Aktivisten von solchen egoistischen »Rechthabern« geleitet und getragen würde. Man hüte sich also vor falschen Alternativen:
4. Befreiende Rechte (im Westen) contra knechtende Pflichten (im Osten): dies ist eine Konstruktion, gegen die entschieden Widerspruch angemeldet werden muß. Die Pflichten-Erklärung, welche die Rechte-Erklärung stärkt, könnte hier eine ergänzend-vermittelnde Funktion wahrnehmen – ohne die Allgemeingültigkeit, die Unteilbarkeit und den Sinnzusammenhang der Menschenrechte zu bedrohen! Im Gegenteil: Sie könnte eine Hilfe sein, das Potential für einen »clash of civilizations« zu verringern, der nur für Ahnungslose »längst widerlegt« ist.
5. Die Liebe zur Freiheit teile ich, und Isaiah Berlin ist gewiß recht zu geben, daß es bei der Freiheit primär um Abwesenheit von Zwang geht mit dem »negativen« Ziel, Einmischung abzuwehren: also Freiheit von . Aber als ehemaliger Isaiah Berlin-Lecturer in Cambridge darf ich vielleicht bescheiden anmerken, daß sich eine pure »Freiheit von« ohne eine »Freiheit zu « destruktiv und bisweilen gemeingefährlich auswirken kann; der britische Soziologe Anthony Giddens bestätigt hier eine alte theologische Weisheit. Damit ist gewiß keine »gemeinschaftsdienliche« Ausübung der Freiheit gefordert, was leicht zur Knechtschaft führen kann, wohl aber Freiheit in Verantwortung, ohne welche die Libertas zum Libertinismus wird, der Menschen, die allein für ihr Ego leben, am Ende innerlich ausgebrannt zurückläßt. Solcher Libertinismus wird aber in dem Moment ein gesellschaftliches Problem, wo die Zahl der Menschen dramatisch zunimmt, die egoistisch ihre Interessen und die private »Ästhetisierung« ihres Alltagslebens pflegen, jedoch nur insofern zu irgendeinem Engagement bereit sind, als dies ihren Bedürfnissen und Lustgefühlen dient. Das merken langsam auch politische Wochenmagazine oder -zeitungen, die erst kürzlich große kritische Artikel über »Die schamlose Gesellschaft« oder »die neue Unverschämtheit« (»Ego ist Trumpf, Frechheit siegt, Entblößung ist die Norm«) publiziert haben.
6. Keine Sorge: Moral und Gemeinschaft lassen sich pflichtmäßig gar »nicht verordnen«. Und die beste Gewährleistung des Friedens ist in der Tat ein funktionsfähiger Staat, der seinen Bürgern »Rechtssicherheit« garantiert. Menschenrechte sind dabei »Leitstern« (nicht »Sprengsatz«) einer solchen Gesellschaft. Aber gerade weil sich Gemeinschaft und Moral nicht verordnen lassen, ist die Selbstverpflichtung seiner Bürgerinnen und Bürger unerläßlich. Der demokratische Staat ist, so sahen wir, auf einen Werte-, Normen- und Pflichtenkonsens angewiesen, gerade weil er ihn weder schaffen noch verordnen kann und soll.
7. Leider haben die Deutschen nicht das Glück der Angloamerikaner, die für » Pflichten « drei unterschiedlich akzentuierte Begriffe besitzen: » duties «, » obligations «, » responsibilities «. Es war spannend mitzuerleben, wie man sich unter Fachleuten sowohl in Paris ( UNESCO ) wie in Wien (InterAction Council) und in Davos (World Economic Forum) jeweils rasch auf den Begriff der » responsibilities « einigte. Warum? Weil dieser Begriff mehr als die anderen Worte statt das äußerliche Gesetz eben diese innere Selbstverpflichtung betont, worauf eine Pflichten-Erklärung, die ein Ethos keinesfalls zu erzwingen vermag, letztlich zielen muß. Und so hätte man denn am liebsten auch im Deutschen (im Wissen um die Problematik des Wortes »Pflicht«) von einer Allgemeinen Erklärung der » Verantwortlichkeiten « gesprochen, wenn dieser Sprachgebrauch bei uns üblich wäre. Immerhin, einmal, wurde dies in der deutschen Fassung des Dokuments zur Verdeutlichung gewagt: »Pflichten oder Verantwortlichkeiten (responsibilities)«. Und man spreche also, wenn man will, ruhig von einer »Erklärung der Verantwortlichkeit« oder »der Verantwortlichkeiten«.
8. Gerade Menschenrechtler müßten es wissen: Schon die Menschenrechte-Erklärung selber im Artikel 29 enthält eine – freilich noch höchst vage – Bestimmung über »Pflichten eines jeden Menschen gegenüber der Gemeinschaft«. Daraus ergibt sich mit zwingender Logik, daß eine Menschenpflichten-Erklärung keinesfalls im Widerspruch zur Menschenrechte-Erklärung stehen kann. Und wenn Konkretisierungen politischer, sozialer und kultureller Menschenrechte-Artikel durch internationale Abkommen in
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