Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
morgendliche Übelkeit, die unerklärliche Müdigkeit tagsüber und die Stimmungsschwankungen waren erste Anzeichen, die sich einige Tage später durch das Ausbleiben der Regel bestätigten. Ein Glücksgefühl durchströmte sie, von dem sie nicht wusste, ob sie es sich überhaupt erlauben durfte. Denn ein Kind von Kamal würde die ohnehin schon schwierige Beziehung noch weiter komplizieren. Sie hatte Angst, dass Kamal selbst die Nachricht schlecht aufnehmen und ihr vorwerfen würde, dass sie nicht gut genug aufgepasst habe. Trotzdem war sie glücklich und wollte sich diesem Glück nicht widersetzen. Es erschien ihr wie ein Wunder, dass in ihr ein winzig kleines, zerbrechliches Wesen heranwuchs, ein Kind der Liebe zwischen ihr und Kamal.
Entgegen aller Vermutungen nahm Sara Francescas Schwangerschaft mit Begeisterung auf. Sie überschüttete sie mit Aufmerksamkeit und guten Ratschlägen, kochte ihr Lammfleisch zum Mittag und zum Abendessen und gab ihr einen Liter Ziegenmilch am Tag zu trinken. Sie rührte ihr eine widerliche Tinktur an, damit die Zähne nicht litten und die Knochen sich nicht auflösten, und rieb ihre Beine mit einer Mischung aus Honig und Zitrone ein, die die Venen zusammenzog und für eine gute Durchblutung sorgte. »Bei deinen Beinen wäre es eine Sünde, wenn du Krampfadern bekämst«, sagte sie. Francesca ließ sie gewähren, denn inmitten all der Einsamkeit erinnerte Sara sie an ihre Mutter.
Sie dachte oft an Antonina und Fredo, aber obwohl sie in regem Briefwechsel mit ihnen stand, hatte sie noch keinen Weg gefunden, ihnen die Neuigkeit mitzuteilen. Vor Fredos Reaktion hatte sie keine Angst, so offen und liberal, wie er eingestellt war, aber vor der ihrer Mutter, die fest in den christlichen Riten und Traditionen verwurzelt war. Schließlich fasste sie sich ein Herz und gestand ihnen in einem Brief, dass sie Kamal al-Saud heiraten würde.
Abgesehen von ihrer Fürsorge, war Sara nach Feierabend auch eine hervorragende Gesellschafterin. Francesca hörte ihr gerne zu, denn sie wusste viel über die arabischen Sitten und Gebräuche. Irgendwann fragte Francesca sie, warum sie jetzt so rührend um sie besorgt war, wo sie doch am Anfang so empört und ablehnend reagiert hatte.
»Jetzt ist es etwas ganz anderes«, beteuerte die Frau. »Du trägst sein Kind unter dem Herzen. Die Araber sind durchtrieben und brutal, aber wenn es um Kinder geht, wird ihr Herz weich. Durch dieses Baby wird Prinz Kamal dich niemals verlassen.«
Sie erzählte ihr von dem islamischen Brauch der Beschneidung und dass diese nicht wie bei den Juden unmittelbar nach der Geburt durchgeführt werde, sondern erst im Alter von acht Jahren und mit einem dreitägigen Fest gefeiert werde. Francesca hatte nicht gewusst, dass Muslime beschnitten waren, was Sara sehr lustig fand, wo sie doch ein Kind von einem Muslim erwartete. »Die Frauen aus deinem Kulturkreis finden es sehr reizvoll, mit einem beschnittenen Mann zu schlafen. Sie behaupten, dass es mehr Spaß macht.« Dann hörte sie auf zu lachen und stellte klar: »Er hat dich entjungfert, deswegen macht er dich zu seiner Frau. Wärst du keine Jungfrau mehr gewesen, würde er dich niemals heiraten.«
Es fiel Francesca schwer, sich vorzustellen, dass Kamal so rückschrittlich sein sollte, aber sie wagte es auch nicht, Saras Bemerkungen ganz von sich zu weisen, wo ihr doch selbst Zweifel hinsichtlich der Überzeugungen ihres Geliebten gekommen waren. Sie zweifelte nicht an seiner Liebe, derer war sie sich sicher. Aber sein häufiges Schweigen, seine undurchdringlichen Blicke, die Geheimnisse, die er vor ihr hatte, die bedrückende Erkenntnis, dass er vor allem Araber war, schienen Kamals wahren Charakter zu offenbaren: einen eher harten und unsensiblen, wenngleich leidenschaftlichen und weltoffenen Mann, manchmal glutheiß wie die Wüste, dann wieder kalt wie die klaren Vollmondnächte, so als hätte die Landschaft, in der er geboren war, sein Wesen nach ihrem Ebenbild geformt.
Francescas Zweifel wurden noch verstärkt, als Sara sie darauf hinwies, dass die Araber der Vielehe frönten und bis zu vier Frauen heiraten durften. Sie rezitierte aus dem Gedächtnis den entsprechenden Vers der Sure, in der es um die Ehe ging: »Heiratet, was euch an Frauen gut ansteht, ein jeder zwei, drei oder vier. Und wenn ihr fürchtet, so viele nicht gerecht zu behandeln, dann nur eine oder was ihr an Sklavinnen besitzt.« Der Vers erschien ihr von einer so offenkundigen Frechheit und
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