Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
darüber sprach, der ein enger Freund der königlichen Familie war.«
Francesca hatte sich Kamal mit Haut und Haaren hingegeben, praktisch ohne etwas über seine Vergangenheit zu wissen. Sie bereute es nicht, aber sie musste zugeben, dass es sie beunruhigte, gar nichts über ihn zu wissen. Es wäre ihr lieber gewesen, Kamal selbst hätte ihr von seinen Problemen erzählt und nicht eine Botschaftsangestellte. Alles, was sie von ihm kannte, waren seine Geschäfte auf dem Anwesen in Dschidda. Die Geschichte von den Palastintrigen, die Sara ihr da erzählte, erschien ihr abwegig und unglaublich, aber sie passte zu einigen Details, die ihr vorher nicht aufgefallen waren. Kamals kurz angebundene Worte über seinen Bruder Saud kamen ihr wieder in den Sinn und gewannen durch Saras Behauptungen plötzlich an Bedeutung: »Wir sind uns in einigen politischen Fragen nicht sonderlich einig, das hat uns ein wenig voneinander entfremdet.«
»Kasem sagt, Prinz Kamals Washingtonreise habe das Ziel, sich der Unterstützung der USA zu versichern, falls er König werden sollte. Und das wird ihm mit Sicherheit gelingen«, erklärte Sara, »denn er wird von der gesamten Familie unterstützt, die das Verhalten von König Saud nicht länger hinnehmen will. Diese Stadt wird sich in ein Pulverfass verwandeln. Ich glaube nämlich nicht, dass der König kampflos das Feld räumen wird. Hast du eine Ahnung, um wie viel Geld es hier geht? Um Millionen und Abermillionen von Dollars, meine Liebe. Und für Millionen und Abermillionen von Dollars kann man sogar töten.«
»Was redest du da, Sara!«, fuhr Francesca auf. »Soll das heißen, dass Kamals Leben in Gefahr ist?«
Seit der Rückkehr aus Dschidda waren drei Wochen vergangen, und Kamal weilte immer noch im Ausland. Er rief sie oft an und schickte ihr herrliche Blumenarrangements, aber das genügte Francesca nicht: Sie wollte ihn. Jeden Morgen stand sie in der Hoffnung auf, ihn durch die Tür kommen zu sehen, doch die Tage vergingen, und Kamal erschien nicht. Am Telefon hörte er sich besorgt und distanziert an; den halben Anruf verbrachte er damit, ihr einzuschärfen, dass sie die Botschaft nur verlassen dürfe, wenn es absolut unumgänglich sei, und das nicht ohne die Begleitung ihrer beiden Leibwächter. Francesca, die seine Anrufe entgegensehnte, um ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte und vermisste, beschränkte sich darauf, ihn zu fragen, ob etwas vorgefallen sei, ob es ihm gutgehe, ob er Probleme habe, worauf er immer auswich mit der Entschuldigung, müde zu sein.
Die angespannte Stimmung bei den Gesprächen mit den Vertretern der US-Regierung, deren Ergebnisse über die Zukunft Saudi-Arabiens entscheiden konnten, hatte ihn in die ernüchternde Realität zurückgebracht. Der krasse Gegensatz zu den Tagen, die er mit Francesca auf dem Anwesen in Dschidda und in der Oase verlebt hatte, machte ihm den Aufenthalt nicht angenehmer. Aber dies war seine Bestimmung: Das, was sein Vater mit großer Willenskraft gegen alle Widerstände aufgebaut hatte, vor der Zerstörung zu bewahren. Jetzt, in der Finanzkrise, musste er erneut, wie einst sein Vater, an die Amerikaner appellieren, wobei er sich seiner zahlreichen Schwächen und seiner einzigen Stärke bewusst war: des Erdöls. Doch der Verhandlungsspielraum, der ihm zur Verfügung stand, war gleich null, wenn er die negativen Seiten nicht geschickt umging und die Pluspunkte unterstrich. Saudi-Arabien brauchte die Vereinigten Staaten, aber diese waren nicht im gleichen Maße auf Saudi-Arabien angewiesen.
Die Vereinigten Staaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Vormachtstellung auf der Welt beanspruchten, präsentierten sich als wichtigster und mächtigster Verbündeter, der stark im Nahen Osten engagiert war, insbesondere im Iran. Aber auch Libyen unter König Idris hatten sie als zuverlässigen Lieferanten für Erdöl bester Qualität in der Tasche. Die USA verfügten also über zwei sichere Ölquellen. Kamal musste umsichtig verhandeln.
In Gedenken an das historische Gespräch zwischen König Abdul Aziz und Präsident Roosevelt an Bord der Quincy auf dem Roten Meer wollte Kamal versuchen, die Allianz mit den Amerikanern zu erneuern und so die Türen wieder aufzustoßen, die Saud durch die Gründung des Ölkartells OPEC zugeschlagen hatte. Kamal wusste sehr wohl, dass das Erdöl, das es in der arabischen Wüste im Überfluss und in bester Qualität gab, das Blut der Erde, das durch die Adern der Industrie strömte und sie am Leben
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