Was der Winter verschwieg (German Edition)
schminkte sie sich nur wenig, also hatte das Weinen auch nicht viel Schaden angerichtet. Entschlossen klappte sie das Puderdöschen zu und gesellte sich dann zu Daisy und ihren Freunden. Charlie saß fröhlich glucksend auf Sonnets Schoß.
„Hey, Sonnet.“ Sophie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. „Schön, dich zu sehen.“
„Danke gleichfalls.“ Sonnet ließ Charlie auf ihren Knien hüpfen. Er war ein guter Schutzschild und bewahrte sie beide davor, einander die Hand geben oder umarmen zu müssen. Sophie hatte nichts gegen Sonnet. Ganz im Gegenteil, sie bewunderte das Mädchen. Sonnet war klug und ehrgeizig und hatte es auf ein hervorragendes College geschafft. Die Unsicherheit rührte daher, dass Sonnet die Tochter von Nina Romano war. Nina Romano
Bellamys
Tochter, Stiefschwester von Daisy und Max. Charlies Tante. All das sorgte dafür, dass sie jemand war, der sehr lange ein Teil von Daisys Leben sein würde, vielleicht sogar für immer.
Sonnet hatte die lebhaften Gesichtszüge ihrer italienisch-amerikanischen Mutter geerbt. Ihr Vater, ein Colonel in der US Army, war Afroamerikaner. Das Mädchen hatte karamellfarbene Haut, dunkelbraune Augen und einen Kopf voller Korkenzieherlocken, deren Ansätze dicht an der Kopfhaut geflochten waren. War sie zu perfekt? Auf jeden Fall war sie dünner; ihre hübsche Haut schien sich straffer über ihre Wangenknochen zu spannen. Auf Sophie wirkte sie älter, als sie war. Möglicherweise hatte sie Sorgen.
„Wie findest du es, wieder in Avalon zu sein?“, fragte sie.
Der abgespannte Gesichtsausdruck machte einem breiten Lächeln Platz. „Auf gar keinen Fall hätte ich den Winterkarneval verpassen wollen. Der ist hier in der Stadt eine echt große Sache.“
„Das habe ich schon gehört.“
„Mom, darf ich dir auch Zach Alger vorstellen?“ Daisy zeigte auf den anderen Jungen im Zimmer.
„Ich bin Sophie“, sagte sie und streckte dem stillen, sehr blonden Jungen die Hand hin.
„Ma’am“, begrüßte er sie und stand auf. „Schön, Sie kennenzulernen.“
Er war ein wirklich ungewöhnlich aussehender Junge. Blass bis in die Spitzen seiner Wimpern. Und sehr ernst. Daisy hatte ihr nur wenig über ihn erzählt. Zachs Dad Matthew Alger hatte irgendwelches Stadtvermögen veruntreut, um seine Spielsucht zu finanzieren. Zach hatte dann versucht, seinen Vater zu decken, indem er die Bäckerei beklaute, in der er zu der Zeit arbeitete. Zach hatte sich vor den sprichwörtlichen Bus geworfen, um seinen Vater zu schützen. Das war etwas, wofür Sophie vollstes Verständnis hatte. Sie hatte so etwas auch schon mal getan – vielleicht nicht so direkt oder so tiefgreifend, aber sie hatte auch ihre eigenen Wünsche für ihre Eltern geopfert.
Sophie spürte eine gewisse Spannung im Raum, ging aber davon aus, dass sie nicht der Grund dafür war. „Nun dann. Ich muss jetzt mal los. Ich denke, wir sehen uns noch.“ Sie beugte sich vor und nahm Charlie auf den Arm. Sie drückte ihn an sich, gab ihm einen Kuss auf die Wange und überreichte ihn dann Sonnet.
Daisy begleitete sie zur Tür. Gemeinsam gingen sie nach draußen.
„Ich habe Logan heute ein wenig beobachtet, wie er mit Charlie umgeht“, gestand Sophie. „Er macht das wirklich gut.“
„Das finde ich auch.“ Daisy zog den Pullover enger um sich. „Was für einen Eindruck hast du von Sonnet, Mom?“
„Sie ist ein wunderschönes Mädchen.“
„Das weiß ich. Und sonst?“
„Vielleicht etwas zu dünn“, mutmaßte Sophie.
Daisy nickte. „Das hab ich auch schon gedacht. Meinst du, es ist noch in Ordnung, oder muss ich mir Sorgen machen?“
Sophie zögerte. Auf der einen Seite war das hier eine Chance für sie, Mutter zu sein und Daisy einen Rat zu geben. Auf der anderen Seite … „Süße, sie ist Ninas Tochter, und aus diesem Grund ist es nicht richtig, dass ich mit dir über sie spreche.“
„Okay. Das verstehe ich. Ich denke, ich habe mir meine Frage gerade selber beantwortet.“
Sophie umarmte sie zum Abschied. „Du bist eine gute Freundin, Daisy. Ich bin froh, dass wir heute miteinander gesprochen haben.“
„Ruf Onkel Philip an. Ich will, dass du dich hier wohlfühlst, Mom. Wirklich.“
„Wie bist du nur so klug geworden?“
Daisy ging zur Tür und drehte sich lächelnd um. „Muss ich wohl von meiner Mutter geerbt haben.“
23. KAPITEL
S ophie wusste, dass ihre Tochter recht hatte. Wenn sie es wirklich ernst meinte und wollte, dass Avalon ihr Zuhause wurde, würde sie ihre Bindungen
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