Was der Winter verschwieg (German Edition)
ins Bild gesprungen. Doch als die Zeit voranschritt, machten sie sich immer seltener die Mühe.
Einige der besten – und entlarvendsten – Bilder waren von Daisy selbst gemacht worden. Sogar mit der ersten Ritschratsch-Kamera, die sie als Kind bekommen hatte, war es ihr gelungen, ihr Talent und ihre Leidenschaft für diese Kunstform auszudrücken. Als Teenager hatte sie den Niedergang der Ehe ihrer Eltern durch den Sucher ihrer Kamera verfolgt. In den Bildern, auf denen Sophie und Greg zu sehen waren, sahen sie beinahe aus wie jedes andere Paar, aber oft gab es einen kleinen, vielsagenden Hinweis in den Fotos, wie eine Hand, die den Griff der Handtasche etwas zu fest umklammerte, oder Schultern, die einander beim Zusammenrücken berührten und sich daraufhin sofort anspannten.
Irgendwann verschwanden Sophie und Greg als Paar komplett von den Fotos. Oder wenn sie gemeinsam drauf waren, dann auf einem Gruppenfoto mit einem Meer an Verwandten und Freunden zwischen ihnen. Gab es etwas, das sie hätten tun können, tun
müssen
? Oder war der Zusammenbruch unausweichlich gewesen wie das konstante Schlagen von Wellen gegen die felsige Küste? Es gab vieles, was Sophie am Familienleben immer vermissen würde. Sich am Esstisch umzuschauen und ihre Gesichter zu sehen. Gemeinsam mit Skiern einen Berg hinunterzufahren. Sich hübsch zu machen, um ein Theaterstück anzuschauen. Und doch musste sie auch zugeben, dass es Dinge gab, die ihr nicht im Mindesten fehlten. Das beklommene Gefühl in der Brust, wenn sie morgens aufwachte und nach einer Möglichkeit suchte, das Bett zu verlassen, ohne Greg aufzuwecken. Die aus Unzufriedenheit geborenen Linien um seine Mundwinkel, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Max’ Art, so zu tun, als wäre alles in Ordnung, und Daisy, die rebellierte, nur um irgendeine Reaktion zu provozieren.
Ein Geräusch an der Tür ließ Sophie aufschauen. Dort stand Daisy, immer noch in Parka und Stiefeln.
„Hey, Mom“, sagte sie und schob sich die Kapuze vom Kopf.
„Hey.“ Sophie wischte sich über die Wangen. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie geweint hatte. „Ich wollte eigentlich nur meine E-Mails lesen und Logan ein wenig Zeit mit Charlie geben. Ich hatte nicht vor, hier herumzuschnüffeln.“
Daisy warf einen Blick auf das aufgeklappte Fotoalbum auf dem Zeichentisch. „Ich habe nichts zu verstecken. Was siehst du dir da an?“
„Unser Familienalbum.“ Sophie betrachtete die letzten Fotos in dem Buch. Das vorletzte zeigte sie alle vier auf dem Steg im Camp Kioga. Es war zwei Jahre zuvor während der Feier zur Goldenen Hochzeit von Charles und Jane Bellamy aufgenommen worden. Greg und seine Kinder hatten den gesamten Sommer im Camp verbracht, während Sophie auf Geschäftsreise war. Das Bild zeigte eine Frau, die einfach nicht dazugehörte, die sich in ihrer eigenen Haut unwohl fühlte. Greg, Max und Daisy standen barfüßig da und grinsten. Sie waren schön braun geworden, und ihre durch die Sonne hell gesträhnten Haare wehten in der leichten Brise. Sophie hingegen war blass, trug Bermudashorts mit scharfer Bügelfalte und ein Button-down-Hemd mit dem Camplogo auf der Brusttasche.
Es gab auch Bilder, die im Jahr danach aufgenommen worden waren, bei einem weiteren Treffen der Bellamy-Familie – Olivias Hochzeit. Sie alle vier waren dem Anlass entsprechend formell gekleidet und wirkten äußerst angespannt. Aus gutem Grund, wie sich herausstellen sollte. Später an dem Tag hatten bei Daisy die Wehen eingesetzt.
„Was für ein Tag …“, seufzte Sophie.
„Ja, für uns alle.“ Daisy betrachtete ein Foto von sich, auf dem sie die Hand ihres Vaters hielt. Die Qualität war amateurhafter als von Daisys Bildern, weil Sophie die Aufnahme gemacht hatte. „Dad war an dem Tag eine erstaunlich gute Hilfe.“
„Ich fand das gar nicht so überraschend“, gab Sophie zu. Greg hatte pflichtbewusst den gesamten Geburtsvorbereitungskurs mit Daisy absolviert. Er war entschlossen gewesen, seiner Tochter während der schwierigsten Phase ihres jungen Lebens beizustehen. „Darf ich dich etwas fragen?“ Sophie schaute Daisy an, die nickte. „Hast du je daran gedacht, mich zu fragen, ob ich dich zur Geburt begleiten will?“
Daisy runzelte die Stirn. „Du warst in Übersee. Ich wusste, du würdest nicht alles stehen und liegen lassen, um sechs Wochen mit mir zu diesem Kurs zu gehen.“
„Du wusstest es?“
„Ich nahm es an. Hättest du, Mom? Hättest du das getan?“
Sophie starrte aus dem
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