Was Die Liebe Naehrt
auszuschalten, dann wären wir Menschen, die sich nicht mehr
betreffen lassen. Sich nicht mehr betreffen zu lassen würde heißen, sich nicht mehr zu spüren, aber auch, keine Verantwortung zu übernehmen.« So bringt es
die Schweizer Therapeutin Verena Kast in ihrem Buch über Freude, Inspiration und Hoffnung auf den Punkt.
Beziehung zu den Dingen
Gestörte Beziehungsfähigkeit zeigt sich auch im Umgang mit den Dingen. Vielen kommt heute das Gespür dafür abhanden. Die Inhaber von
Hotels können ein Lied davon singen, wie unsensibel und rücksichtslos viele Gäste mit den Dingen umgehen. So fordern wir heute auch zu Recht
Umweltschutz. Doch viele haben die Beziehung zur Umwelt, zur Schöpfung, verloren. Unser alter Schreinermeister, ein Mann von 80 Jahren, kam einmal in
Tränen aufgelöst zu mir, weil Schüler seine Türe, die er liebevoll gestaltet hatte, mutwillig kaputtgemacht hatten. Er war untröstlich, wie man mit Holz
so roh umgehen könne. Die Jugendlichen hatten keine Beziehung zu diesem Handwerksstück. Ja, sie hatten überhaupt keine Beziehung zu den Dingen. Für sie
diente die Türe nur dazu, die eigene Aggression auszuleben. Aber sie nahmen sie nicht mehr als handwerklich geschaffenes Werk wahr. Ähnlich geht es
vielen, wenn sie in der Natur sind. Auch beim Wandern sind sie nicht wirklich in Beziehung zur Natur. Das gilt nicht nur für unsensible Einzelne. Es gilt
auch für gesellschaftliche Ansprüche. Wenn der Umweltschutz keinen Grund in der Beziehung zur Natur hat, dann wird er nur zu einem moralischen Appell oder
aber rein rational begründet. Doch eine noch so vernünftig argumentierende Begründung wird den Schutz und Erhalt unserer Umwelt nicht gewährleisten. Daher
braucht es zuerst eine Schule der Achtsamkeit. So können wir wieder in Berührung kommen mit den Dingen und mit der Natur und sie spüren. Wer die Natur
spürt, geht auch achtsam mit ihrum. Und unsere Art mit den Dingen umzugehen, hat Auswirkungen auch auf der sozialen und
zwischenmenschlichen Ebene.
Beziehung zu anderen
Wer keine Beziehung zu sich und zu den Dingen hat, der tut sich auch schwer in der Beziehung zu anderen Menschen. Auf der einen Seite
sehnt ein solcher Mensch sich nach Beziehung. Er erhofft sich von einer guten Beziehung, dass er sich selbst spüren kann. Aber wenn er nicht in Beziehung
zu sich selbst ist, wird er auch nicht wirklich in Beziehung zu anderen kommen. Psychologen beobachten, dass männliche Jugendliche mit 14 oder 15 Jahren,
die keine Beziehung zu sich haben und unfähig sind, sich mit Mädchen vernünftig zu unterhalten oder mit ihnen zu flirten, sofort auf die sexuelle
Beziehung aus sind. Sexualität ist der einzige Ort, an dem sie hoffen, aus dem Gefängnis des eigenen Ego herauszukommen. Doch auch ausgelebte Sexualität
kann die Beziehung nicht wirklich herstellen, wenn Beziehungsfähigkeit nicht eine innere Haltung geworden ist. Wer sich selbst nicht spürt, ist unsicher
in der Beziehung zum anderen. Er weiß nicht, wer er selbst ist. So traut er sich dann auch nicht, sich dem anderen zu zeigen. Er hat Angst, der andere
könnte seine innere Leere wahrnehmen. Ich werde am Du, sagt Martin Buber. Doch wo kein Ich ist, kann auch keine Begegnung mit einem Du stattfinden. Es
braucht bereits eine Ahnung um mich selbst, damit ich dem Du begegnen kann.
Beziehung zu Gott
Die Beziehungsunfähigkeit in diesen eben beschriebenen Dimensionen ist eine Voraussetzung, um sich transzendenter Erfahrung zu
öffnen. Wer weder mit sich noch mit anderen in Beziehung ist, wird sich auch schwer tun, mit Gott eine Beziehung aufzubauen. Wer sich selbst nicht spürt,
vermag auch Gott nicht zu spüren. Schon Cyprian von Karthago meinte: »Du willst, dass Gott dich hört. Doch du selbst hörst dich ja gar nicht. Du willst,
dass Gott an dich denkt, aber du selbst denkst gar nicht an dich.« Er gebraucht hier die lateinische Formulierung memor esse , gedenken,
eingedenk sein. Gemeint ist eigentlich: »Du bist nicht in deinem Innern, in deinem Gedächtnis. Du bist nicht in Berührung mit dir selbst. Daher kannst du
auch nicht in Berührung mit Gott kommen.« In geistlichen Gesprächen spüre ich oft die Sehnsucht der Menschen, Gott zu spüren, in Beziehung mit ihm zu
treten. Doch zugleich beobachte ich auch hier die Angst, dass Gott sie enttäuschen könnte, wenn sie sich ihm öffnen. Oder die Angst, Gott könnte sich
zurückziehen, wenn sie sich auf den Weg zu ihm
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