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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Aufschrei erschreckte sie selbst noch mehr als ihn. Sie spürte einen wahnsinnigen Schmerz in ihrem linken Unterarm, als er versuchte, ihr die Tasche abzunehmen. Der Polizist sprach in sein Funkgerät und forderte Hilfe an. Er steckte
die Schlüssel aus ihrer Handtasche ein, ging zu ihrem Wagen hinüber, stocherte im Schloss herum, kehrte im Schneeregen zu ihr zurück und stellte sich neben sie. Er murmelte ein paar Worte, die ihr bekannt vorkamen, sagte aber ansonsten nichts.
    »Ist es schlimm?«, fragte sie ihn.
    »Das muss der Arzt in der Notaufnahme entscheiden.«
    »Nein, ich meine, was da hinten passiert ist.«
    Das entfernte Dröhnen eines Hubschraubers beantwortete ihr die Frage. Verzeihung, Verzeihung, Verzeihung , aber sie konnte nichts dafür.
    »Ich bin nicht schuld daran. Ich konnte nichts dazu – aber ich habe auch nichts getan …«
    »Ich habe Ihnen Ihre Rechte verlesen«, sagte er. »Was immer Sie jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Nicht dass es einen Zweifel daran gäbe, dass Sie Fahrerflucht begangen haben.«
    »Ich wollte doch nur Hilfe holen.«
    »Die Straße hier endet an einem Parkplatz. Wenn Sie denen wirklich hätten helfen wollen, hätten Sie bereits da hinten angehalten oder wären beim Security Boulevard abgefahren.«
    »Ich dachte, ich könnte von der alten Windsor-Hills-Apotheke, Ecke Forest Park und Windsor Mill, anrufen.«
    Auf ihre Ortskenntnis war er nicht gefasst gewesen.
    »Ich weiß von keiner Apotheke an der Ecke, aber es gibt dort eine Tankstelle. Haben Sie denn kein Handy?«
    »Keins, das ich privat nutze, aber bei der Arbeit habe ich eins. Ich kaufe technische Geräte erst, wenn sie ordentlich funktionieren, wenn sie perfekt sind. Bei Mobiltelefonen hat man oft keinen Empfang, und meistens muss man reinschreien. Wie will man da was Persönliches sagen? Ich kaufe mir erst eins, wenn Mobiltelefone so zuverlässig funktionieren wie Überlandleitungen.«
    Sie hörte die Worte ihres Vaters widerhallen. Nach all den Jahren war er immer noch in ihrem Kopf, seine Anweisungen
so klar und unmissverständlich wie eh und je: Kauf niemals als Erste eine neue technische Erfindung. Schleif regelmäßig deine Messer. Iss Tomaten nur, wenn sie nicht aus dem Gewächshaus kommen. Sei nett zu deiner Schwester. Eines Tages werden deine Mutter und ich nicht mehr da sein, und dann habt ihr nur noch euch .
    Der junge Polizist beäugte sie ernst, die Art Ehrfurcht gebietender, prüfender Blick, mit dem unartige Kinder gestraft werden. Es war lächerlich, dass er sich ihr gegenüber so skeptisch verhielt. Das Dämmerlicht, die Kleidung, die kurzen, lockigen, vom Regen platten Haare ließen sie wahrscheinlich jünger aussehen. Die Leute hielten sie meist für zehn Jahre jünger, sogar dann noch, wenn sie sich schick gemacht hatte, was selten vorkam. Die Tatsache, dass sie seit letztem Jahr einen Kurzhaarschnitt trug, ließ sie noch jünger wirken. Es war schon seltsam, wie blond ihr Haar war, wo doch die meisten Frauen mit Blondiermittel nachhelfen mussten, um diesen hellen Ton hinzukriegen. Es war fast, als ob sich ihre Haare für die jahrelangen, unfreiwilligen »Kesse Kastanie«-Tönungen rächen wollten. Ihre Haare konnten ebenso gut sauer sein wie sie.
    »Bethany«, sagte sie. »Ich bin eins von den Bethany-Mädchen.«
    »Wie?«
    »Sie wissen nichts davon?«, fragte sie ihn. »Sie erinnern sich nicht daran? Klar, wie auch? Sie sind ja höchstens, na ja – vierundzwanzig? Fünfundzwanzig?«
    »Ich werde nächste Woche sechsundzwanzig«, entgegnete er.
    Sie hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Er erinnerte sie an ein Kleinkind, das darauf bestand, dass es schon zweieinhalb war, nicht erst zwei. Ab welchem Alter will man nicht mehr älter sein, als man ist; wann hört man auf, die Zahl aufzurunden? Bei den meisten um die dreißig, schätzte sie, auch wenn es bei ihr bereits viel früher angefangen hatte. Mit achtzehn hätte sie alles getan, um noch einmal klein sein zu dürfen.

    »Also, dann waren Sie noch gar nicht auf der Welt, als … Und wahrscheinlich sind Sie auch gar nicht von hier. Dann sagt Ihnen der Name natürlich nichts.«
    »Die Fahrzeugpapiere in Ihrem Wagen sind auf eine Penelope Jackson aus Asheville in North Carolina ausgestellt. Sind Sie das? Wie sich bei der Überprüfung des Nummernschilds herausgestellt hat, ist der Wagen nicht als gestohlen gemeldet worden.«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihre Geschichte wäre bei ihm verschenkt. Sie würde auf jemanden warten,

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