Was Farben sagen
unangenehm empfinden. Wenn sich Rot und Blau genau die Waage halten, fühlt man sich tatsächlich einerseits schwermütig, andererseits aber auch sehr rastlos. Man hat das Gefühl, die Verwandlung zu Violett dauere noch an. Es ist, als würden die beiden Ausgangsfarben noch miteinander um die Vorherrschaft ringen. Doch es ist kein lebhafter Kampf, denn beide sind geschwächt. Die rote Kraft ist geknebelt. Auf der anderen Seite wird das flüchtige Blau unfreiwillig in der groben Materie verankert, was der Farbe eine gequälte, unfreie Prägung gibt. In einer ausgewogenen Verteilung der roten und blauen Anteile treffen diese beiden sehr unterschiedlichen Kräfte so in einer Pattsituation aufeinander. Beide Pole werden dadurch zur Kompromissbereitschaft gezwungen. Weil sich keine der beiden Farben damit abfinden kann, steht das Neue, das Violett hervorbringt, unter Spannungâ und die Farbe wirkt unruhig und aufwühlend.
Rotviolett   Ein Violettton wird als deutlich weniger aufwühlend empfunden, wenn die Waage eindeutig zu einer Seite hin ausschlägt. Neigt sie sich eher zur roten Seite, zeigen sich die faszinierenden Rotvioletttöne wie Purpur. Dass es früher eine der teuersten Farben war und nur sehr begüterte Menschen sich ihre Kleidung in diesem Violettton einfärben lassen konnten, ist ein Grund, weswegen es als » Farbe der Könige« galt. Doch die Rotviolettnuancen strahlen auch aus sich selbst heraus etwas Intensives, Glamouröses, Sinnliches und Luxuriöses aus, da mit der Dominanz von Rot das Prächtige und Machtvolle in den Vordergrund tritt. Die Aggressivität sowie das rote Ego werden allerdings durch Blau im Zaum gehalten, was Purpur seine würdevolle Wirkung verleiht. Diese erhabene Ausstrahlung der Rotviolettnuancen haben sich auch geistliche Würdenträger, die purpurne Färbungen bevorzugen, zunutze gemacht. » Im Purpurrot (â¦) vereinigt sich weltliche und geistliche Macht«, wie Johannes Itten festhielt, und es istâ wie alle Violetttöneâ die Verbindung von Erde (Rot) und Himmel (Blau), die Ãberhöhung und Durchgeistigung des Irdischenâ und damit die ideale Farbe für die Kirche.
Blauviolett   Neigt sich die Waage eher zur blauen Seite, schaffen die blauvioletten Nuancen eine leicht melancholische, aber auch ausgesprochen beruhigende Atmosphäre, die der vorherrschenden Qualität von Blau entspricht, das nach innen strebt. Alle blaustichigen Violettschattierungen strahlen eine ruhige, überlegte Stärke aus, die keinerlei Bedürfnis hat, nach auÃen zu treten. Es ist vielmehr die Farbe der Schatten, ein irrealer Ton, der jede Materialität bereits fast komplett aufgegeben hat und nicht mehr greifbar, sondern nur noch als flüchtiges Abbild erkennbar ist. Das Blau hat die Stofflichkeit von Rot schon so weit durchdrungen, dass sie nurmehr stark durchbrochen wie ein fragiles Netz bestehen bleibtâ und der Auflösungsprozess dauert an, bis sich alle feste Materie im immateriellen Blau aufgelöst hat. Das negative Vorzeichen, das das kühle Blau vor das Rot gesetzt hat, kann nicht mehr aufgehoben werden. Insbesondere an den blauvioletten Farbtönen klebt daher etwas Verzweifeltes, Endgültiges. Violett wirkt hier durch den dominierenden nach innen gerichteten Impuls von Blau aber auch mystisch, geheimnisvoll und in gewisser Weise streng, ernsthaft und extrem nüchtern. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass sich der Name » Amethyst« vom griechischen » methyein« ableitet, was so viel bedeutet wie » betrunken sein«; in » A-methyst« ist der nüchterne, bewusste Zustand wiederhergestellt.
Violette Ellipse und violetter Sechsstern   Aus der Kombination von rotem Quadrat und blauem Kreis leitete Johannes Itten die Ellipse als Form für Violett ab. Daneben greift aber auch der Sechsstern den Charakter von Violett als letzter Farbe auf, denn zum einen schwingt in der Sechs als Zahl der Vollkommenheitâ nach sechs Tagen war beispielsweise die Schöpfung abgeschlossenâ die weise Qualität von Violett mit, das alle übrigen Farbqualitäten durchlaufen hat. Zum anderen durchdringen sich, wie Hajo Banzhaf anschaulich darlegt, im Sechsstern die Symbole für Feuer (Dreieck, dessen Spitze nach oben zeigt) und Wasser (die Spitze des Dreiecks deutet nach unten) genauso, wie sich Rot und Blau in Violett
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